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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Beitzer
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mussten.
    Ganz ähnlich verhielt es sich mit den Piraten: Ihre Anhänger und Kernwähler waren zunächst jung. Inzwischen können sie auch ältere Politikenttäuschte für sich begeistern. Was bedeutet das nun für die Politik? Dass sie sich ebenso wie die Unternehmen ändern muss, wenn sie die Jungen zurückgewinnen will. Das ist allerdings eine ungleich schwerere Aufgabe. Die Wirtschaft ist es seit jeher gewohnt, sich auf die Bedürfnisse von Kunden einzustellen.
    Sie kennt das Spiel von Angebot und Nachfrage – und wenn sie junge Angestellte halten will, dann bewegt sie sich eben. Aus reinem Gewinninteresse. In der Politik hingegen tummeln sich im Grunde lauter Überzeugungstäter. Auch wenn manch einer von ihnen die Politik längst wie jede andere gewöhnliche Karriere verfolgt, sind es doch Menschen mit einem gewissen Sendungsbewusstsein, die daran glauben, was sie tun. Und die verändern sich nicht, nur weil halt gerade mal der Nachwuchs ausgeht. Weil sie ja davon überzeugt sind, das Richtige zu tun. Und das kann man ihnen im Grunde genommen nicht einmal vorwerfen. Da brauchte es schon den Piraten-Schock, damit sie über sich und ihre Partei nachdenken.

Glaube keiner Ideologie, glaube nur dir selbst
    Die etablierten Parteien tun sich reichlich schwer, junge Leute für sich und ihre Arbeit zu gewinnen. Ein Grund dafür ist, dass vielen Jungen die traditionelle Bindung an eine Partei fehlt. Früher war es aber auch viel einfacher, die richtige Partei zu finden! Jedenfalls stellen wir uns das so vor.
    Wer Arbeiter war oder sich zumindest für einen hielt oder irgendwie links war, der wählte SPD . Wer überzeugter Christ war und ansonsten am liebsten alles so belassen wollte, wie es ist, der wählte CDU . Wer Arzt, Anwalt oder sonst ein Besserverdiener war, der wählte FDP . Wer sich für die Umwelt engagierte, wählte die Grünen. Und so weiter. Auch international war fast die gesamte zweite Hälfte des 20 . Jahrhunderts alles irgendwie klar: Es gab Kommunismus und Kapitalismus, es gab den Ostblock und den Westen. Und man musste sich entscheiden: entweder A oder B, entweder Russland oder Amerika, entweder konservativ oder progressiv. Damit ging meistens auch ein bestimmter Lebensstil einher. Demos waren ein Ding der Linken, sie lebten in WG s und probierten schon einmal Marihuana aus. Die Konservativen gingen in die Kirche, den Schützenverein und suchten sich einen seriösen Job.
    Doch das Denken in politischen Lagern passt nicht mehr in unsere Welt, ja, viel mehr: Seit unserer Geburt sind wir doch mit nichts anderem konfrontiert als mit dem Scheitern sämtlicher Ideologien, Visionen und den damit verbundenen Versprechungen. In unserer Kindheit erlebten wir nach 1980 Geborenen gerade noch, wie von zwei dominierenden Weltanschauungen nur noch eine übrig blieb. Die älteren von uns erinnern sich, wie Mutter und Vater mit Tränen in den Augen vor dem Fernseher saßen, als die Mauer fiel. Sie erinnern sich vielleicht auch noch an das Versprechen, das damals in der Luft hing: Jetzt wird endlich alles gut.
    Das ewige Links-Rechts, der Kampf Ost gegen West, all das schien Vergangenheit zu sein. Die Sowjetunion löste sich auf, das Riesenreich bestand nur noch in verstaubten Atlanten weiter, die in den Bücherschränken der Eltern vor sich hin gammelten. Die Gefahr, die als dunkle Ahnung über unserer Kindheit hing, schien ausgeräumt, der Kalte Krieg vorbei – ohne dass sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hätten. Wir alle lebten noch, es gab keinen Atomkrieg, niemand marschierte beim anderen ein. Der Traum von «Nie wieder Krieg» schien in greifbare Nähe gerückt.
    Aus zwei Deutschlands wurde eines. Die Kinder in Westdeutschland bestaunten die seltsam angezogenen neuen Schulfreunde aus dem Osten, die mit nur wenigen Habseligkeiten im Gepäck aus ihrer Heimat aufbrachen, um woanders ihr Glück zu suchen. Und die Kinder im Osten erlebten, wie die Welt ihrer Eltern mitsamt der dazugehörigen Ideologie in sich zusammenbrach, und richteten notgedrungen ihren Blick auf die Zukunft.
    Man versprach uns ein geeintes Europa, das weit über die alte EG hinausging und das nach so vielen Jahren der Trennung endlich wieder zusammenwachsen sollte. Und Wohlstand, unendlichen Wohlstand. Ein System, in dem alle profitieren. Dass alle irgendwie daran glaubten, war ganz schön naiv. Aber damals schien es möglich. In den wilden neunziger Jahren, als der Kapitalismus frenetisch seinen Sieg über den Kommunismus zu

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