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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Beitzer
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uns zu Hause passierte. Gerhard Schröder bastelte mit seiner Regierung an einem Reformungetüm namens «Agenda 2010 » herum. Damals stand Deutschland nicht gerade in dem Ruf, besonders dynamisch oder wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Immer noch knabberten wir an den Folgen der Wiedervereinigung herum, dazu kamen unangenehme Effekte der Globalisierung: Es wurde immer deutlicher, dass es für Unternehmen günstiger war, anderswo zu produzieren als hier, wo der Kündigungsschutz ebenso stark war wie der Einfluss der Gewerkschaften. Das alles sollte sich ändern, die Wirtschaft flexibler werden. Bei uns wie bei vielen anderen Deutschen kam jedoch an, dass es schlicht ungemütlicher werden würde.
    Als die SPD in Deutschland kurz danach Hartz  IV einführte, steckten die ersten von uns mitten im Studium. Landauf, landab demonstrierten Menschen gegen die Reform, die die meisten als dreisten Abbau des Sozialstaats verstanden. Bald bekamen auch wir von besorgten Medienvertretern unser erstes Etikett aufgeklebt: Wir hießen nun «Generation Praktikum». Mit Hartz  IV hatte das eigentlich nur am Rande zu tun, aber dennoch vermischten sich die Arbeitsmarktreformen und unsere schlecht bezahlten Praktika in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem diffusen Gefühl der sozialen Ungerechtigkeit. Und tatsächlich hatte ich nicht wenige Kommilitonen, die sich schon mit Anfang, Mitte  20 vor langjähriger Arbeitslosigkeit und dem «Absturz» in Hartz  IV fürchteten. Kein Wunder, denn die Medien zeichneten ein düsteres Bild von unserer Zukunft: Scharenweise, so konnte man es überall nachlesen, würden wir uns in unbezahlten Jobs abquälen. Niemals würden wir eine Festanstellung bekommen. Kinderkriegen könnten wir uns sowieso gleich abschminken. Man will den Kleinen ja was bieten – und dazu würden wir frühestens mit 40 in der Lage sein. Und jeder noch so kleine Makel im Lebenslauf würde geradewegs zum Arbeitsamt führen, das jetzt aber gar nicht mehr so hieß, sondern: Agentur für Arbeit.
    Dass das Problem hauptsächlich einige wenige, vor allem bei jungen Kreativen beliebte Branchen betraf, spielte in diesem Zusammenhang nur eine geringe Rolle. Es war das Gefühl, das zählte: Von nun an geht es bergab. Wir stellten uns darauf ein, dass wir die erste Generation sein könnten, die es nicht besser haben wird als ihre Eltern. Wir wussten auch, dass wir vermutlich keine staatliche Rente mehr bekommen würden. Wir stellten uns darauf ein, viele Jahre mehr zu arbeiten als unsere Eltern. Wir erfuhren am eigenen Leib, dass der Kapitalismus alles andere ist als ein großes Fest. Uns war inzwischen längst klar, dass Geldverdienen nicht kinderleicht ist.
    Und so begannen viele von uns, sich nach Sicherheit, nach einem guten Job, nach einer planbaren Zukunft zu sehnen. Dem Kapitalismus misstrauten wir, gleichzeitig schien aber auch keine Alternative in Sicht. Wir sehnten uns nicht so sehr nach dem schnellen Geld, waren keine Glücksritter und Zocker. Wir wollten Geld verdienen und gleichzeitig etwas schaffen, das bleibt, das einen Sinn hat. Wir waren weniger radikal als unsere Eltern. Wir wollten nicht die Weltrevolution, das ganze System umstürzen. Stattdessen wollten wir schlicht unseren Platz im vorhandenen System finden. Zum Beispiel für eine gute Firma arbeiten und nicht nur heiße Luft verkaufen, etwas schaffen, das bleibt – und sich nicht mit dem Platzen der nächsten Blase in Luft auflöst.
    Nun lernten die Kinder der Achtziger und Neunziger, dass man sich im Kampf um Konsumgüter, gute Jobs und Einfluss vor allem auf sich selbst verlassen muss. Und jeder, der irgendwie konnte, versuchte sich darauf einzustellen. Wir paukten brav exotische Sprachen. Wir wählten unsere Studienfächer immer auch ein wenig mit dem Hintergedanken, ob sich damit auch Geld verdienen lässt, ob der Job eine Zukunft verspricht. Germanistik? Dann doch lieber Lehramt. Kulturwissenschaften? Dann doch lieber den Bachelor International Management. Wir Studenten der Nullerjahre reisten durch die Welt, aber nicht verträumt und planlos, wie es Weltenbummler aller Generationen schon immer getan haben. Wir hatten ein Ziel vor Augen: etwas Besonderes werden, Erfahrungen sammeln, Dinge lernen, die sonst keiner kann. Chinesisch zum Beispiel, Russisch, oder sonst irgendeine Sprache eines aufstrebenden Marktes. Denn das waren fremde Länder auf einmal: Märkte, nicht nur mehr Orte, wo wir in Bars herumhingen, am Strand Surfunterricht nahmen oder mit Jungs

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