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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Beitzer
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quasi von allein vervielfältigen würde. Und dass unsere einzige Sorge der Wettbewerbsfähigkeit gelten sollte – «Der Chinese schläft nicht!», wurde einer meiner Professoren nicht müde auszurufen.
    Das muss man sich mal vorstellen: Vor den Banken warnte uns keiner, dafür aber vor emsigen Asiaten, die nichts im Kopf hätten, als unsere Ideen, unser Know-how und unsere wirtschaftliche Überlegenheit zu stehlen. Alle predigten sie die Errungenschaften der Marktwirtschaft. Coole CEO s hielten bei uns Vorträge darüber, wie sie sich erfolgreich durchs Leben zockten. Sogar der ewige Hans-Werner Sinn kam zu einem Vortrag über die Vorzüge des freien Marktes.
    Die Wirtschaftskrise, den Zusammenbruch des Bankensystems hat zu diesem Zeitpunkt keiner vorausgesehen. Als wir dann im Herbst 2008 , im Sommer 2009 Jobs suchten, wunderten wir uns, dass nicht jeder einzelne Wirtschaftsprofessor vor Scham über den Blödsinn, den er uns an der Universität beigebracht hatte, geradewegs im Boden versank. Der Markt regelt das? Na, danke! Alles, wovor wir Angst haben müssen, ist «der Chinese»? Sehr witzig.
    Letztendlich war es wohl doch eher die immer wieder gepredigte Mär vom ewigen Wachstum, die uns diesen ganzen Mist eingebrockt hatte, nicht irgendwelche «billigen Arbeitskräfte» am anderen Ende der Welt. Die Wirtschaft erschien uns wie ein einziges gigantisches Marktversagen mit Politikern, Managern, Philosophen und Professoren, die ebenso orientierungslos wie wir darin herumstolperten.
    Gegen ideologische Großerklärungen waren wir also aus gutem Grund irgendwann immun, und allzu einfachen Erklärungen für den Lauf der Dinge misstrauten wir zutiefst. Bis heute glauben wir nicht, dass sich das komplexe Weltgeschehen irgendwie auf einen simplen Nenner bringen lässt – à la: Der Kapitalismus ist das Problem. Oder die Lösung. Wir sind immer darauf gefasst, uns auf eine neue Situation einstellen zu müssen. Und rüsten uns permanent dafür, dass irgendwann alles noch ein bisschen schlechter wird. Aber wir sind bereit dafür, den Kampf mit der Welt aufzunehmen. Schließlich hat man uns schon oft genug aufgegeben, uns eine düstere Zukunft prophezeit.
    Die «Generation Praktikum» zum Beispiel hat es dann doch irgendwie geschafft, Geld zu verdienen, interessante Jobs zu finden. Zwar nicht mit derselben Sicherheit im Rücken wie ihre Eltern – aber dafür vielleicht eine Spur spannender, internationaler, selbstbestimmter und vor allem abwechslungsreicher. Unser Strebertum und unser Pragmatismus scheinen sich auszuzahlen, wir verdienen Geld, wir leben unser Leben. Plötzlich scheint es doch wieder möglich, Kinder zu kriegen, an die Zukunft zu glauben. Ganz ohne irgendeine Ideologie, die uns die Welt erklärt.
    Wir sind es vor allem gewohnt, von uns in erster Linie als Individuum zu denken. Das hat auf unser Politikverständnis enorme Auswirkungen. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu vorherigen Generationen. Die nach 1980 Geborenen haben sich nie als Teil einer Bewegung betrachtet. Sie vertrauen aus gutem Grund weder dem Markt noch einer politischen Ausrichtung. Sie vertrauen nur sich selbst. Und nahmen sich schon immer das Recht heraus, in manchen Belangen sozialdemokratisch, in anderen neoliberal und in einigen auch konservativ zu denken. Das macht Wahlentscheidungen ziemlich schwierig. Und noch schwieriger macht es parteipolitisches Engagement, da Parteien traditionell mit relativ festen Wertegerüsten arbeiten – jedenfalls nach außen hin.
    Für die Politik bedeutet diese Loslösung von großen Welterklärermodellen und dem damit einhergehenden Lagerdenken auch, dass Dinge möglich werden müssen, die ältere Generationen für unmöglich halten. Dass parteiübergreifend an Kompromissen gearbeitet werden muss. Klar, wenn jeder Mensch sich seinen Lebensentwurf selbst zurechtbasteln kann, ich mich nicht mehr entscheiden muss, ob ich nun Sozi bin oder Grüner oder Schwarzer – dann darf auch die Politik nicht mehr in starren Parteigrenzen passieren. Wir waren über Schwarz-Weiß-Denken schon lange hinweg, bevor wir das traditionell dafür vorgesehene Alter von 30  Jahren erreichten. Dafür mussten wir viel Unverständnis einstecken: Sollte die Jugend nicht rebellieren? Ein wenig größenwahnsinnig sein? Über den Nahost-Konflikt nachdenken anstatt über die eigene Rente?
    Wir wussten selber, dass wir diesem Bild der Jugend nicht einmal ansatzweise entsprachen. Und alles, was uns dazu einfiel, war: Ja, wann

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