Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Beitzer
Vom Netzwerk:
politischen Blödsinn verzapfen: «Das wird man ja wohl noch sagen dürfen» oder, mit einem Hauch mehr heroischem Selbstverständnis: «Man darf ja hier nicht mehr frei reden, aber ich sage trotzdem, dass Israel scheiße ist.»
    Das Phänomen ist freilich nicht nur bei Piraten und erst recht nicht nur in Deutschland verbreitet. Das zeigt das Twitterprojekt «Yes, you’re racist» (Doch, du bist ein Rassist!») von Logan Smith, das dieser im US -Wahlkampf ins Leben rief. Wann immer auf Twitter jemand einen Tweet begann mit «Ich bin kein Rassist, aber …» und danach etwas offensichtlich Rassistisches schrieb («… ich ertrage keine Inder und Pakistani»), wird er vom Account @YesYourRacist retweetet und damit als Rassist angeprangert. Smith legt dabei offen, dass rassistische Tweets oft leicht zu erkennen sind, nämlich an einem Einstieg mit der Beteuerung, NICHT rassistisch zu sein. Außerdem entlarvt er damit all jene als naiv, die nach der Wahl Barack Obamas Rassismus in Amerika für erledigt halten. Eine nette Parallele zu Deutschland übrigens, wo viele die systematische Benachteiligung von Frauen für erledigt halten, nur weil wir eine Bundeskanzlerin haben.
    Die Piraten haben nun die zweifelhafte Ehre, genau diese «I’m not racist, but …»-Einstellung in die Parteipolitik zu bringen. Klar, es gibt sicher auch in anderen Parteien Leute, die derartige Sprüche klopfen. Aber in anderen Parteien ist es im Zweifelsfall halt egal, was irgendein Hansel am Stammtisch so sagt, im Fokus der Öffentlichkeit stehen dort die Funktionäre und Amtsinhaber, nicht jedes einzelne Mitglied.
    Das ist bei den Piraten anders. Sie selbst werden nicht müde zu betonen, dass bei ihnen ein Basismitglied genauso viel zu sagen hat wie der Parteivorsitzende. An diesem Anspruch werden sie gemessen. Und er gilt halt auch für den Blödsinn, den manche Basismitglieder verzapfen. Also fällt im Zweifelsfall ein einzelner Ausreißer doch wieder auf die Partei zurück.
    Aber nicht nur die Wahrnehmung der einzelnen Mitglieder unterscheidet sich. In anderen Parteien gibt es ein sehr festes Wertegerüst, das gerade in Sachen Diskriminierung ziemlich genau vorschreibt, was o.k. ist und was nicht. Klar, auch da kommt es noch vor, dass sich ein namhafter Vertreter in die Nesseln setzt, aber dann gibt es eben auch ziemlich viele andere namhafte Vertreter, die klarmachen, dass das nicht im Sinne der Partei ist, und den Übeltäter notfalls zum Rückzug verdonnern. Bei den Piraten fehlt jener professionelle Apparat, der das übernehmen könnte. Es gibt in vielen Fragen auch keinen genauen Kodex, was in Ordnung ist und was nicht.
    Es gibt zum Beispiel gute Gründe dafür, dass das Leugnen des Holocausts verboten ist. Und es ist auch nicht so, dass die Argumente dafür oder dagegen nicht schon tausendmal plattgewalzt wurden. Es gibt auch gute Gründe dafür, warum die meisten demokratischen Parteien nicht mit der NPD zusammenarbeiten – auch wenn diese im Einzelfall vielleicht mal einen Antrag einbringt, den man prinzipiell unterstützen könnte.
    Weist man manche Piraten darauf hin, dass bestimmte Begriffe – wie zum Beispiel «Gutmensch» – auch ganz gern von Rechten verwendet werden, dann erntet man nur ein Schulterzucken. «Aber ich meine es halt anders.» Oder darauf, dass sich Frauen unter Umständen nicht davon angesprochen fühlen, wenn immer nur von «Piraten» die Rede ist – dann hört man: «Aber sie sind doch mitgemeint, das steht schon in der Satzung.» Bürokratischer geht’s nicht!
    Das ist es, was viele junge Politikinteressierte an den Piraten stört. Sich von unnötigem ideologischen Ballast und dem alten Rechts-Links-Denken zu lösen, kann natürlich nicht bedeuten, dass tatsächlich alle Diskussionen noch einmal von vorne geführt werden müssen. Denn selbstverständlich gibt es bestimmte Werte, die richtig und wichtig sind – und die auch heute noch gelten. Auch wenn sie sich vielleicht unsere Eltern oder sogar unsere Großeltern ausgedacht haben.
    Historisches Bewusstsein ist wichtig, um nicht immer wieder in der Argumentation um Jahrzehnte zurückzuspringen und nicht alles zu hinterfragen, was einem gerade selbst nicht passt. Und es schadet auch nicht, das eigene Denken hin und wieder zu hinterfragen und auch die egozentrische Sichtweise à la «Ich bin schließlich kein Rassist/Antisemit/Sexist. Deswegen können meine Äußerungen unmöglich rassistisch/antisemitisch/sexistisch sein» zu verlassen. Die kommt

Weitere Kostenlose Bücher