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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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du's viel mehr!«
    »Gott sei Dank, daß der Sahnebonbon saß!«
    Ich hatte sie wieder lieb wie eh und je und wußte, daß wir uns nie trennen würden.
    Die letzten Oktoberfesttage wurden für meine Freundin eine rechte Qual; denn es wurde herbstlich kühl, und die armen Mädels froren in ihrem dünnen Revueplunder auf dem Podium. Zuletzt mußte Wera sogar die Lieblingsfrau vertreten, weil diese in den ›Haremsnächten‹ erbärmlich hustete und nieste. Ich bewunderte das tapfere Ausharren meiner kleinen Baronesse.
    Als ich am Nachmittag des letzten Wiesensonntags noch einmal vor der Bude ›Kraft und Schönheit‹ stand, klopfte mir jemand von hinten auf die Schulter. Als ich mich umdrehte, erkannte ich meinen theaterwissenschaftlichen Professor Artur Kutscher mit zwei kleinen Töchtern an der Hand. Kennerischen Blicks verfolgte er die Bewegungen und Tiraden des Direktors Untermüller.
    »Mimus, junger Freund«, sagte er, indem er den Zeigefinger hob und die Unterlippe ein wenig herabschob. »Frank Wedekind hätte seine Freude daran gehabt.«
    Um Weras willen hatte ich keine mehr, weil es so bitter kalt war.

Der Blinddarmputsch
    »Ein schwarzer Tag für unsere Sache«, schreibt Bruno Tiches unter dem Datum des 9. November 1923 in sein Tagebuch, »aber er wird Geschichte machen.«
    Mir kam schon der 8. November nicht geheuer vor. Ich hatte Wera am Tag vorher im Kolleg getroffen, und sie hatte sich nicht ganz wohl gefühlt. Doch vereinbarten wir, uns am folgenden Abend in den ›Kammerspielen‹ in der Augustenstraße zu treffen, um uns Shakespeares ›Sommernachtstraum‹ anzusehen. Ich wartete vergeblich im Kassenvorraum, bis es im Zuschauerraum dunkel wurde. Wera kam nicht. Dann setzte ich mich oben in eine der letzten Stuhlreihen und wartete weiter.
    Ich sah das geliebte Stück mit seinem mythischen Zauber wie hinter Schleiern. Als in der Pause der Zuschauerraum hell wurde, bemerkte ich, daß er halb leer war. Das vermehrte bei mir die Stimmung fröstelnden November-Unbehagens so sehr, daß ich sogar die Späße von Pyramus und Thisbe abgeschmackt fand. Vielleicht würde sich am Ende, da im magischen Licht das Haus und die liebenden Paare gesegnet werden, doch noch die wunderbare Verwandlung eingestellt haben, wenn nicht meine Hand zur Rechten über das harte Holz eines hochgeklappten Stuhls gestrichen hätte.
    Was war mit Wera geschehen? Wo war sie geblieben? Mißtrauen keimte in mir auf, als ich mit hallenden Schritten durch die lange, menschenleere Adalbertstraße heimzu ging. Wie, wenn sich das Unglück wiederholte, das ich im ersten Semester mit der sächsischen Romanin gehabt hatte? Eine Uhr schlug elf. Noch eine. Zweiundzwanzig ungeküßte Küsse.
    Da hörte ich eine Stimme auf der Straße. Sie rief zum offenen Fenster eines Hauses hinauf, hinter dem – im Licht der Straßenlaternen erkennbar – ein Mann im Nachthemd mit einem übergeworfenen Wintermantel stand.
    »Und dann hat er mit an Revolver in die Decken neig'schossen«, sagte der Mann von der Straße.
    »Im Bürgerbräukeller?« fragte in ungläubigem Staunen der Nachthemdmann.
    »Im Bürgerbräukeller!«
    Was alles in dieser Stadt geschehen konnte! Mein kurzes Mißtrauen gegen Wera schlug in Angst um, über die ich mich selbst lustig zu machen suchte.
    Du weißt doch, sagte ich mir, daß Wera nicht in Bräukellern verkehrt. Und selbst wenn sie es heimlich getan hätte, würde sie ja auch nicht gerade auf dem Kronleuchter oder sonstwo unter der gefährdeten Decke gesessen haben!
    Aber das half alles nichts. Meine Angst blieb. In meinem Novembernachtstraum erschien der Kobold Puck, vertauschte mich und Wera und verlangte am Schluß von mir grimmig den Aufbewahrungsschein für eine baltische Baronesse, wobei er Gesicht, Miene, Bart und Klemmer jenes bayerischen Pfandleihbeamten annahm, der mich einmal wegen eines verlorenen Leihscheins einem schrecklichen Verhör ausgesetzt hatte.
    Als ich meinen Traumschein für Wera nicht finden konnte, schoß der erzürnte Pfandleihbeamte Puck in die Decke des athenischen Palastes, der wie der Hofbräuhauskeller aussah – soviel poetische Freiheit erlaubte mir der Traum –, und Wera, die plötzlich doch wieder da war, sagte bedeutungsschwer: »Jeder Schuß ein Kuß.« Da schoß er zum zweiten Mal.
    Aber in Wirklichkeit wurde gar nicht geschossen, sondern es war der Morgen des 9. November, und meine Generalswitwenköchin pumperte an die Tür.
    »Herr Doktor, Herr Doktor, es is was g'schehn!« rief sie

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