Wir Wunderkinder
sagte meine Baronesse traditionsbewußt leutselig.
»Untermüller«, knurrte der Haxenmann, wobei er Wera von oben bis unten mit seinen Blicken abschätzte. »Dich könnt ich vielleicht noch jebrauchen! Zieh dir später mal den Fummel an!«
»Was müßte ich denn bei Ihnen machen?«
»Jarnischt! Dich rausstellen und 'n bißken mit'm Popo wackeln.«
Jetzt kam mir für Wera der Adelsstolz hoch, den sie so schmählich vermissen ließ.
»Fräulein Wera entstammt einem berühmten Adelsgeschlecht«, trumpfte ich auf, während sie mir tödliche Blicke zuschleuderte.
»Na und?« fragte Untermüller ungerührt. »Deswegen hat se doch alles an dieselbe Stelle wie andere Mädchen auch. Und was die Beriehmtheit anjeht – als Bimbo bin ick selber benehmt jenug!«
Das also war einer von den ›lustigen Vagabunden‹. Ich hatte genug von seinem Humor. Am liebsten wäre ich fortgerannt. Ich war des Oktoberfests, dieser ganzen abscheulichen Zeit und vielleicht sogar meines Lebens überdrüssig. Und Hunger hatte ich auch.
Aber Wera flehte mit ihren Melusinen- und Baronessenaugen so bewegend für meine Mitverwendung, daß ich zu feige war, eine feige Flucht zu wagen. Während sie sich im Nachbarwagen bei Frau Untermüller umzog, mußte ich mich, auf Herrn Untermüllers Befehl, meines Jacketts und Hemds entledigen und versuchte, aus meiner Brust und den Oberarmen herauszudrücken, was nur irgend ging. Untermüller aber faßte mit seinen fettigen Kalbshaxenfingern sachkundig nach meinen Armmuskeln und schüttelte den Kopf.
»Bedeck dir mal wieder, eh das Frollein kommt!« sagte er. »Als Kraftmensch kann ick dir beim besten Willen nich loofen lassen. Student, na ja …«
Seine Stimme klang ehrlich mitleidig, als er das sagte. Doch als er mir ein Päckchen Milliardenscheine in die Hand drückte und mich aufforderte: »Jeh wenigstens mal ordentlich frühstücken«, wallten gekränkter Stolz und akademisches Ehrgefühl in mir hoch.
In diesem Augenblick trat Wera wieder ein.
Sie hatte etwas Unmögliches an. Das Kostüm sah zwar peinlich sauber aus, aber das dünne Flitterzeug war vielfach geflickt und verschossen und mochte in einer Ausstattungsrevue seine Dienste erfüllt haben, ehe es über den Trödler in die Schaubude gekommen war. Seine Pikanterie erstreckte sich im wesentlichen auf die Beine. Obenherum war alles anständig geschlossen. Auf dem Haupte trug meine Baronesse ein wackelndes Gebilde aus geknickten Straußenfedern.
»Scheen!« sagte Herr Untermüller verklärt und machte ein Gesicht, wie er es sonst gegen Bezahlung als lustiger Vagabund machen mochte. »Da kannste sogar die Haremsnächte mitmachen.«
»Nein!« rief ich entsetzt.
»Is ja so harmlos, Junge«, sagte Untermüller beruhigend. »Guck dir's am Abend mal an.«
Ich weiß nicht, warum mir der Schaubudendirektor jetzt weniger unsympathisch vorkam. Vielleicht lag es mit an seiner redlichen, stockheiseren Stimme. Jedenfalls behielt ich das Geld, das er mir in die Hand gedrückt hatte, und da auch Wera ihr sogenanntes Handgeld empfing, machten wir uns auf, unsere hungrigen Mägen zu füllen. Vom unverhofft empfangenen Lohn tollkühn geworden, kauften wir ein Brathuhn und nahmen es in ein Bräuzelt mit, wo wir uns eine Maß des starken Wiesenbiers bestellten.
Um die Mittagsstunde war es in den Zelten noch fast leer, und wir saßen allein an einem langen Tisch. Das schwere Bier stimmte uns träge und friedlich. Ich hängte Wera ein Lebkuchenherz mit der Zuckergußaufschrift ›Aus Liebe‹ um den Hals, und sie küßte mich dafür, von der dicken Bräukellnerin mit ermunternder Zustimmung bedacht.
Da am Nachmittag die Sonne durchkam, ein föhnig leuchtendes Blau am Himmel erschien, die Wiese sich mit Kindern belebte und die ersten Karusselle zu dudeln begannen, ließen wir uns genüßlich durch die bunte Vergnügungsstadt treiben. Die tatkräftige Wera zog mich noch mal zur Festwiesenleitung, um eine andere Anstellungsmöglichkeit für mich zu erkunden.
»Mög'n S' an' Türken machen?« fragte mich der joviale Mann im Verwaltungszelt. »Sie ham Glück. Eahnern Vorgänger hat da Schlag troffen.«
Ich gestand, daß ich weder türkisch sprechen, noch Muskeln zur Schau stellen könne. Meine mittäglichen Erfahrungen hatten mir den Mut genommen. Aber als sich herausstellte, daß ich in einer Bude türkischen Honig verkaufen müsse, meinte ich, dieser Aufgabe gewachsen zu sein.
Wir begannen beide unsere Tätigkeit um vier Uhr nachmittags. Während meine
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