Wir Wunderkinder
Arm ihres Sohnes Karl in einer prächtigen Uniform mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse.
Aus dem Bericht über die Hochzeit, der ausführlich wie ein Hofbericht der Wilhelminischen Ära und nicht minder byzantinisch abgefaßt ist, lohnt es sich, nur wenige Sätze abzudrucken:
»Der Bräutigam, der sich bereits säkulare Verdienste um die Partei erworben hat, hat nunmehr in die Familie eines Mannes eingeheiratet, der einer der soldatischen Grundpfeiler unserer neuen Ordnung zu werden verspricht. Standartenführer Meisegeier trug das in den Freikorpskämpfen erworbene Eiserne Kreuz Erster Klasse auf der Brust. Neben den zahllosen Telegrammgrüßen, die von unseren Parteiorganisationen aus aller Welt eintrafen, befand sich auch ein ehrendes Telegramm des Duce, das von Rottenführer Meisegeier an der Hochzeitstafel verlesen wurde. ›Das faschistische Italien ist heute an Ihrer Seite. Benito Mussolini.‹ {38} «
Neujahr 1933
»Wir haben Silvester in unserem neuen Haus im Isartal gefeiert. Ein paar Ordonnanzen bedienten, und wir hatten einige wichtige Leute aus dem Führerkorps eingeladen – es war mächtig stilvoll. Bis Mitternacht hatte ich den Alkohol eindämmen lassen, und wir saßen nur bei Julkerzen beisammen. Weil der Rundfunk scheußliches Zeug brachte – lauter Österreicher und Klassiker –, haben wir auf dem Plattenspieler den Führer laufen lassen, von dem jetzt alle Reden mitgeschnitten werden. Karl hielt eine zackige Ansprache, daß es nun im neuen Jahr endlich soweit sei, und wir leerten darauf unsere Gläser ex. Leider war Schwiegermutter danach schon blau und heulte vor Rührung. Ich ließ sie gleich durch meinen Fahrer heimexpedieren. Nach Mitternacht wollten alle Meisegeiers Programm machen. SS-Mann Meisegeier spielte auf dem Flügel den Flohwalzer, und Doddy tanzte dazu auf dem Deckel. Rottenführer Meisegeier marschierte auf den Händen, und Scharführer Meisegeier machte Zauberkunststücke. Meine junge Frau sprach, wie' immer, wenig und zog sich bloß die Schuhe aus. Doddy aber sorgte mächtig für Betrieb. Das kleine Luder macht einen noch mal richtig jung.«
30. Januar 1933
»Wir sind an der Macht!!!«
Lohengrinsereien
Diese Silvesterfeier 1932, welche die Tiches-Leute so siegesgewiß begehen konnten, war für uns von der Ahnung kommenden Unheils überschattet. Dennoch hatte auch ich in meiner Zeitung redlich das Meine getan, eine Art von ›innerer‹ Hoffnung, von Nächstenliebe und gedämpftem Optimismus zu verbreiten. So etwas gehört nun einmal an den großen christlichen Feiertagen zu den Aufgaben der Presseleute. Aber nicht allein der Zustand meines eigenen Portemonnaies, das noch von Weihnachten her erschöpft war – ich hatte ein reizendes goldenes Halskettchen nach Davos geschickt –, ließ mich davon absehen, bei einer Neujahrsfeier meiner Kollegen mitzutun. Ich hatte auch keine Lust dazu. Das würde nun das siebente Jahr ohne Wera sein – allmählich verlor ich den Glauben an unsere gemeinsame Zukunft, obwohl wir uns unvermindert liebten und einander zärtliche, sehnsüchtige, alberne Briefe schrieben.
Seit mehr als einem Jahr hatte ich übrigens eine neue Wohnung. Meine Generalswitwe war gestorben. Wie ein zartes Lichtlein war sie im rauhen Wind dieser traditionslosen Zeit erloschen. Ihre karitative Köchin hatte schon vorher das Schicksal in Gestalt des dezenten Beauftragten einer ›Heil- und Pflegeanstalt‹ abgeholt. Sie hatte, gewiß nicht zu Unrecht, die Welt immer mehr von bösen Dämonen beherrscht gesehen, wider die sie nachts beim Schein sämtlicher Gasflammen des Küchenherdes betete. Als die Gasrechnungen ständig wuchsen und ihre gastronomischen Leistungen im gleichen Maße geringer wurden, entdeckte man ihre sonderbare Geistesverwirrung.
Mit meinen neuen Wirtsleuten, der Familie Roselieb, hatte ich Glück, weil es wirklich reizende Menschen waren. Der Hausherr war nicht minder traditionsbewußt als meine selige Exzellenz, da er in seiner Militärzeit Trompeter beim Gardedukorps gewesen war. Im Flur hingen sein Brustpanzer, sein Säbel und der blitzende Adlerhelm, der frühe Manövererinnerungen in mir wachrief. Nach Feierabend blies Herr Roselieb seinen Kindern manchmal Kavalleriesignale vor.
Ich besaß ein schönes Zimmer mit einem großen Balkon, der nur den Nachteil hatte, daß ich ihn bloß durchs Fenster erreichen konnte, weil er auch zum Nebenzimmer gehörte und durch dessen Tür betreten werden mußte. Im Nebenzimmer aber wohnte eine
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