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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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saß als Zirkusdirektor, in rotem Frack und Zylinder, souverän vergnügt in der Mitte einer Ehrentafel, und ich hatte das Gefühl, er müsse in Mimik und Gestik manches dem Direktor Untermüller von der Theresienwiese abgeguckt haben.
    Der Höhepunkt des Festes kam, als Studenten seines Kreises eine von allen guten Geistern gescheiten Witzes gesegnete literarische Parodie unter dem Titel ›Hier irrt Goethe‹ zur Aufführung brachten. Danach wurde der Zirkusdirektor lehrhaft und prophetisch und verkündete mit erhobenem Zeigefinger die Geburtsstunde eines neuen literarischen Kabaretts 1 {32} .
    Was während der Aufführung versäumt wurde, holte das junge Volk – von dem ich mich ein wenig zu distanzieren begann – im Eiltempo nach. Paare fanden sich für den Rest der Nacht, manchmal auch für länger und in einzelnen Fällen sogar für ein ganzes Menschenleben. Mit leicht feuilletonistischer Überheblichkeit und einigen innerlich notierten Formulierungen, die ich morgen Wera zu schreiben gedachte, sah ich solchem Treiben zu.
    Da setzte sich etwas auf meinen Schoß, dessen Bekleidung mich weniger beschwert hätte, als seine Unverfrorenheit.
    »Bitte helfen Sie mir. Ein pickelischer Mensch belä-stischt misch. Er sagt, er ist Lyriker«, sagte das Etwas.
    Ich nahm das Mädchen von meinem Schoß und setzte es auf einen Stuhl daneben.
    »Ich kann nichts gegen Lyriker tun, als sie am beruflichen Fortkommen hindern«, antwortete ich. »Außerdem sagt man auf dem Fasching ›du‹ zueinander und setzt sich nicht auf Herren von der Presse.«
    »Isch habe Sie nischt belästischen wollen!« sagte das Mädchen, das von oben bis unten in einen enganliegenden schwarzen Trikot gezwängt war, der angenehme Formen ebenso angenehm zur Geltung brachte.
    Damit der Beschauer nicht auf falsche Deutungen käme, hatte es sich außerdem eine Kappe mit zwei roten Hörnern aufgesetzt.
    Irgendwo waren mir diese langen Beine doch schon mal über den Weg gelaufen. Und diese Sprache – dieser Sprachfehler …
    »Stoß dir doch mal bitte die Hörner ab«, sagte ich und entfernte das unkleidsame Geweih.
    Darunter war nicht viel. Strohblondes Haar, kurz und struppig wie Bubenhaar – vielleicht habe ich schon bei dieser Gelegenheit die eingangs erwähnte Frage getan –, und diese Blondheit stand in einem, zugegeben, reizvollen Kontrast zu ganz schwarzen, großen Augen. Es dauert bei mir im allgemeinen lang, bis ich bei einem Menschen die Augenfarbe feststelle, aber das hier war denn doch zu auffällig.
    »Bei dir ist der liebe Gott mit zwei Mustern seiner Kollektion durcheinandergekommen«, sagte ich.
    »Das verstehe isch nischt«, sagte das Mädchen philologisch gewissenhaft.
    »Na, deine Augen und das da –!«
    Ich strich über die struppige Strohblondheit, die sich erstaunlicherweise seidenweich anfühlte.
    »Gefällt es dir nischt?« fragte das Teufelchen bekümmert, das sich jetzt immerhin zum ›Du‹ bequemte.
    »Doch …« Ich bekannte das ohne jeden Enthusiasmus. »Aber kannst du nicht beim Sprechen die Kartoffel aus dem Mund nehmen?«
    »Isch bin eine Dänemärkerin! Aus Gilleleje.«
    »O je, drum! Wo liegt denn das – das Gilledingsda?«
    »Gilleleje! Am Kattegatt.«
    »Skagerrak – Kattegatt – Seeschlacht am –?« Ich kam mit meiner historischen und geographischen Schulweisheit nicht sonderlich weit.
    »Halblinks vom Nordpol?« fragte ich weiter.
    »Es ist sehr schön. Du mußt es einmal heimsuchen.«
    In ihren Ausdrücken griff sie manchmal eine Etage zu hoch. Die Musik spielte einen flotten Fox.
    »Tanssest du?« fragte das Mädchen aus Gilleleje.
    »Nur wenn ich gereizt werde!«
    »Reisse isch disch nischt?«
    Ja, sie reizte mich. Mit dem Gefühl eines furchtbaren Unrechts an Wera stand ich auf und gab mich dem Foxtrott mit dem hornlosen, langbeinigen Teufel hin. Während des Tanzes tat ich eine Frage:
    »Sag mal, bist du schon früher mal in München gewesen?«
    »O ja, isch bin ssu dieser Sseit sechssehn Lebensjahre gewesen.«
    »Interessiert mich nicht. Aber hast du dir damals von einem Studenten einen Hörsaal zeigen lassen?«
    »Ja. Von dir. Isch habe disch gleisch wiedererkannt.«
    Mein Tanzbein erstarrte. Das war doch ein tolles Stück! Ließ mich diese Kattegattische ein ganzes Verhör anstellen und spielte durchtrieben das Mädchen aus der Fremde. Ich äußerte den bösen Verdacht, daß auch der sie bedrängende Dichter erfunden sein könnte.
    »Das nischt«, sagte sie, »er steht dort drüben noch

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