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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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dachte, ich hätte so was wie Schluchzen gehört.«
    »Danke, nein. Isch schlu – –, ich weine nie.«
    Das Wort Schluchzen war ihrem dänischen Mund denn doch zu schwierig. Übrigens waren ihre Augen rot umrändert.
    »Dann entschuldigen Sie. Ich dachte auch, Sie trinken vielleicht ein Glas Rotwein mit mir. Mir ist nämlich genauso einsam und elend zumute«, bekannte ich ehrlich. »Und ich würde lieber einen richtigen Silvesterpunsch trinken, wenn ich ihn zubereiten könnte. Doch verzeihen Sie die Störung. Ich wünsche Ihnen gute Nacht und ein gutes neues Jahr!«
    Ohne ihr die Hand zu geben, machte ich eine kurze Verbeugung. Aber die Tür nebenan ging nicht zu. Noch ehe ich die meine geöffnet hatte, rief es hinter mir drein:
    »Isch kann Punsch!«
    »O ja – wirklich?«
    »Soll isch Ihnen welschen machen?«
    »Das wäre natürlich reizend. Aber nur, wenn Sie ihn mittrinken. Außerdem müßten wir uns eilen, denn es ist halb zwölf.«
    »Isch werde misch sehr beeilen.«
    Das weiße Abendkleid rauschte durch den Flur zur Küche. Ich sauste in mein Zimmer, um die Rotweinflaschen zu holen. Töpfe klapperten, die Roseliebschen Gewürzschiebladen gerieten in Bewegung, Zucker raschelte aus einer Tüte.
    »Isch habe sehr guten Rum«, rief Kirsten plötzlich eifrig und rannte wieder in ihr Zimmer. »Mein Großvater importiert diesen aus Batavia«, sagte sie, als sie mit der Flasche zurückkam.
    Wir bastelten in mehreren Töpfen. Es dampfte und zischte, und wir taten viel Rum hinzu, weil ich mir sagte, wenn es guter ist, kann man ruhig ein bißchen mehr nehmen. Die Düfte, die aus dem Topf aufstiegen, waren herrlich.
    Als es auf Roseliebs großer Standuhr zwölf schlug, hatten wir gerade den Topf vom Feuer genommen, aber noch kein Gefäß gefunden, in das wir den Punsch umgießen konnten. Aus meinem Zimmer kam Glockengeläut.
    »Godt Nytaar!« rief die Gillelejesche und goß mir aus dem riesigen Schöpflöffel Punsch in den Mund.
    Ich sprang beinahe an die Decke, so heiß war er. Dann goß ich den Rest des Löffels in Kirsten. Sie dehnte sich vor Hitze, und ihre Beine wurden noch länger. Schließlich nahm sie den Topf und trug ihn in ihr Zimmer. Ich folgte ihr. Der heiße, starke Punsch hatte das Eis zwischen uns gebrochen.
    Kirstens Zimmer war viel gemütlicher als meins. Sie hatte es mit Geschmack und glücklichem Farbensinn umgestaltet, und auf der leuchtend roten Decke ihrer Couch sah sie in ihrem weißen Abendkleid hinreißend aus. Sie riß mich hin.
    Ich holte meinen Rundfunkempfänger herüber. Im großen Sendesaal des Bayerischen Rundfunks spielten sie verrückt. Wir tanzten wie besessen.
    Einmal wurde Kirsten nachdenklich.
    »Wird es ein gutes Jahr sein, dieses 1933?« fragte sie besorgt.
    In Punsch- und Leitartikeloptimismus antwortete ich:
    »Bestimmt! Wenn es schon so anfängt.«
    »Aber diese Leute in den häßlischen Uniformen?«
    »Ach die! Ich glaub's nicht, daß die je drankommen. Dazu ist unser Volk doch zu vernünftig.«
    »Und wenn sie drankommen?«
    »Dann wird man dir am allerwenigsten was tun. Im Gegenteil, so was Blondes, Nordisches wie du wird bei denen hoch in Ehren stehen.«
    »Das möschte isch aber gar nischt«, sagte Kirsten und sah böse aus.
    Da gab ich ihr einen Kuß, und als sie mich erstaunt ansah, sagte ich:
    »Das ist bei uns so eine Silvestersitte.«
    »In Dänemark wäre dieses unsittlisch.«
    »Außerdem wollen wir doch lieber ›du‹ sagen, und dazu gehört auch ein Kuß –«
    Übrigens sagen wir uns noch heute ›du‹ und küssen uns auch heute noch. Nicht mehr ganz so oft wie in jener Neujahrsnacht.
    Um drei Uhr ging Kirsten einmal hinaus. Als sie wieder hereinkam, hatte sie den Kürassierhelm auf dem Kopf.
    »Die Jungfrau von Gilleleje«, rief ich begeistert und begann Schiller zu zitieren: »Mein ist der Helm – .«
    »Ist dieser Herr Roselieb beim Theater beschäftischt gewesen?« fragte Kirsten.
    »Wieso?«
    »Ist dieses nischt Lohengrin?«
    »Du ahnungsvoller Engel du!« zitierte ich, diesmal goethisch. »Es ist Uniform, Militär. Wenn es bei uns zulande ganz seriös wird, artet es manchmal zur Oper aus.«
    »Kann man in der deutschen Sprache so konjugieren: isch lohengrine, du lohengrinst, er lohengrint?«
    »Man kann«, lohengrinste ich.
    »Wenn mein Verlobter in Gilleleje misch so betrachten könnte –!«
    »Wer, bitte?«
    »Ingvald Henriksen, mein künftiger Gemahl.«
    Obwohl dieser hochgestochene Ausdruck sehr gut zum Opernhelm paßte und wiewohl er mein

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