Wir Wunderkinder
immer und blickt ganz lyrisch auf misch.«
Da drückte ich den süßen Teufel an mich und sagte: »Du bist höllisch nett«, und war fest entschlossen, ihm meine faustische Seele zu verschreiben. Wenigstens für eine Nacht.
Daran, daß es unmoralischerweise bis zum Morgen geschah, trug eine moralische Hausordnung die Schuld. Um halb zwölf setzte nämlich mein Teufel die Hörner auf – sich, nicht mir! – und sagte, er müsse schleunigst weggehen, weil er in einem christlichen Mädchenheim wohne, das mitternachts unwiderruflich geschlossen werde.
»Ein hübscher Aufenthaltsort für Teufel«, spottete ich.
Doch das Mädchen aus Gilleleje, das sich inzwischen zusätzlich als Kirsten vorgestellt hatte, blieb ernst. Ja, es schien sogar ein wenig traurig darüber zu sein, daß diese Zirkusvorstellung nun ihr Ende finden sollte.
»Gute Nacht«, sagte Kirsten leise.
»Nein«, rief ich, »noch nichts von guter Nacht! Du bleibst. Ich sorg' schon für dich. Ich geb' dir mein Ehrenwort, und außerdem ist da mein Presseausweis.«
Eins von den beiden erwies seine moralische Kraft: Kirsten blieb. Wir tanzten, lachten, sangen, tranken und warfen einander Konfetti in den Sekt. Nur als das dänische Mädchen einmal hustete, zuckte ich zusammen. Um vier Uhr morgens behauptete Kirsten, sie sei müde.
»Du kannst bei mir auf dem Sofa schlafen«, sagte ich.
»Das ist bei uns in Gilleleje nischt üblisch«, sagte sie.
»Gut«, antwortete ich, »von mir aus kannst du auch auf meiner Treppe übernachten und um sieben die Milchfrau erschrecken, wenn das bei euch üblich ist. Außerdem bin ich verlobt.«
Zu meiner eigenen Erleichterung erfand ich diese fromme Mär, mit der ich einen Gedankengruß nach Davos verband. Auf Kirsten schien sie eher beunruhigend als beruhigend zu wirken. Trotzdem ging sie mit mir und hing, in einen Pelzmantel verpackt, als ein sehr sanft gewordener Teufel an meinem Arm.
»Teifi! Teifi!« sagte ein Münchner Arbeiter, als er auf der Straße des gehörnten Wesens ansichtig wurde.
Es war kalt. Dämmergrau kroch über die Dächer, und ein paar Schneeflocken fielen. Ein zaghaftes Kirchenglöckchen bimmelte. Eine erste Straßenbahn fuhr mit dick vereisten Fenstern vorüber. Ich hegte jetzt für mein schwarzäugiges dänisches Langbein Gefühle, die zwischen den Begriffen ›Onkel‹ und ›Schutz für nationale Minderheiten‹ angesiedelt waren.
Diese Gefühle hielt ich auch daheim heroisch wach. Um so schneller schlief Kirsten auf meinem Sofa ein, nachdem ich sie fest in ihren Pelzmantel gewickelt und ihr einen Kuß auf die Stirn gehaucht hatte, der auch einem Minderheiten- oder Minderjährigenstatut nicht widersprochen haben würde. Sie flüsterte schon im Halbschlaf:
»Mange tak.«
Daß dies auf deutsch ›Vielen Dank‹ hieß, habe ich erst später gelernt.
Ich lernte überhaupt noch viel von ihr. Doch wird davon zu gegebener Zeit die Rede sein.
Familie Meisegeier greift ein
In der zweiten Hälfte des Jahres 1932 werden die Aufzeichnungen von Bruno Tiches, die vorher zur Hälfte aus Leitartikelsentenzen und aus den Klischeewendungen von Wahlversammlungen (»Erscheint in Massen!«) abgeschrieben und zusammengestellt zu sein schienen, plötzlich privater. Lange nach seiner stürmischen Jugend ist jetzt wieder einmal von dem Verhältnis zu einer Frau die Rede. Aber es geht nun nicht mehr um zweifelhafte, durchnumerierte Verhältnisse, sondern um eine zweckgebundene, eingeplante Angelegenheit auf dem Boden eines Parteiprogramms und seiner bevölkerungspolitischen Tendenzen. Und ausgerechnet die schöne Evelyna Meisegeier ist das Opfer. Wie sie einmal um eines Stückchens Silberlame willen beinahe zur Diebin geworden wäre, verkauft sie sich jetzt für die goldenen Streifen an einer Uniform.
Ich lasse einige der Notizen im Wortlaut folgen, da ich sie wohl auch in den Tatsachenbericht werde aufnehmen müssen. Wenn sie ausführlicher sind als früher, mag es damit zusammenhängen, daß Tiches, seiner Bedeutung inzwischen bewußt, sie vielleicht doch zur Grundlage späterer Veröffentlichungen machen wollte. Natürlich wird er immer nur damit gerechnet haben, daß er selbst seine Memoiren publizieren und sie dann auch entsprechend färben und abändern könnte. Daß ausgerechnet ich sie einmal in die Hand bekäme, dürfte er freilich nicht geahnt haben.
27. Juli 1932
»Karl M. der in der SS eine sehr rasche Karriere macht, hat mich gebeten, seine Familie aus unserer gemeinsamen Heimatstadt
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