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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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Studentin, ein vorzeitig verblühtes Wesen, mit dem ich auf keinem anderen Fuße stand, als dem des Sich-Grüßens und Einander-die-Tageszeit-Wünschens. An sich war mir das nicht unlieb.
    Nachdem Ende des vorigen Semesters dieses Mädchen sein Staatsexamen gemacht hatte, wurde im neuen Semester eine neue Untermieterin erwartet, von der mir Frau Roselieb versicherte, sie sei auch wieder ›sehr lieb‹. Infolgedessen erwartete ich eine Neuauflage meiner Philologin.
    Da ich stets sehr früh zur Redaktion mußte und abends spät nach Hause kam und dann meistens bald schlafen ging, traf ich die neue Mieterin erst vierzehn Tage nach ihrem geräuschlosen Einzug. Ich stand wie vom Donner gerührt, als ich ihr auf dem Flur begegnete: Es war das Fräulein aus Gilleleje. Ich wartete kaum ihren Gegengruß ab, als ich sie schon anfauchte:
    »Wie kommst du denn hierher?«
    Ich gebrauchte, trotz meiner Wut, immer noch das karnevalistische ›Du‹, während sie, hierin viel gewissenhafter, mich mit ›Sie‹ anredete.
    »Isch wohne hier. Ist es Ihnen nischt rescht?«
    Dieser schreckliche Sprachfehler …!
    »Natürlich ist es mir nicht recht. Ich mag das nicht, wenn Mädchen mir nachlaufen.«
    »Isch bin Ihnen nischt nachgelaufen. Meine Kollegin aus dem deutschen Seminar hat das Zimmer aufgegeben, und isch habe es genommen.«
    »Ach, Sie ahnten nicht, daß ich hier wohne?« fragte ich und schämte mich schon beinahe meiner Zornaufwallung.
    »Doch, isch habe es gewußt.«
    Schämen rein – Zorn wieder raus! So etwas Berechnendes, diese langbeinige Person vom Kattegatt! Aber in mir sollte sie sich verrechnet haben. Noch ehe ich meine Entrüstungsrede fortsetzen konnte, sprach sie schon weiter:
    »Isch werde Sie bestimmt nischt belästigen. Und wenn wir uns ssufällig auf dem Fasching begegnen, brauche isch Ihre Gastfreundschaft und Ihren Presseausweis nischt mehr in Anspruch ssu nehmen.«
    Das war der Gegenschlag meiner weißbemützten Studentin! Übrigens sah sie mit ihrem verwuschelten Bubenhaar immer noch so wonnig aus, daß ich abschließend eine etwas persönlichere und privatere Frage stellte.
    »Ist der picklige Lyriker immer noch hinter Ihnen her?«
    »Oh ja«, sie strahlte richtig, »er schreibt mir immer Gedischte. Ich versuche sie in meine Muttersprache ssu übersessen. Es klingt sehr poetisch.«
    »Na, dann gute Nacht«, sagte ich brüsk, ging in mein Zimmer und ließ die Langbeinige auf dem Flur stehen.
    Wir trafen uns zunächst nicht mehr. Über Weihnachten fuhr ich auf einige Tage zu meiner Mutter, mußte aber am dritten Feiertag schon wieder in der Redaktion sein.
    Silvester blieb ich, wie gesagt, zu Hause. Die sechs Roseliebs waren zu Verwandten gegangen, und der Vater hatte zum Stimmungmachen seine Trompete mitgenommen. Ich war allein in meinem Zimmer. Die Gillelejerin würde wohl irgendwo mit ihrem Kutscherjüngling mehr oder weniger lyrisch feiern.
    Vor meiner Zentralheizung standen einige Flaschen Rotwein, die ich vor Weihnachten in einem billigen Sonderverkauf erstanden hatte. Der Wein war nicht schlecht, aber ihn allein zu trinken, war auch nicht gut. Ich gähnte und beschloß, gleich nach dem Mitternachtsuhrenschlag zu Bett zu gehen. Aus dem Radioapparat – es war längst nicht mehr das brave Detektorgerät der Frühzeit – kam viel Getragenes, das mich nicht gerade aufmunterte.
    Um dreiundzwanzig Uhr zehn meinte ich im Nebenzimmer ein Geräusch zu hören. Ich legte mein Ohr an die Wand. Einen Augenblick war vollkommene Stille. Vielleicht legte auch drüben jemand das Ohr an die Wand. Dann kam wieder ein Geräusch. Es klang wie ein Schluchzen.
    »Manöver«, sagte ich mir und blieb hartherzig.
    Bis dreiundzwanzig Uhr fünfzehn. Dann erinnerte ich mich meines Silvesterartikels von der menschlichen Nächstenliebe, der mich immerhin in dieser Nacht dem derzeit geographisch nächsten Menschen gegenüber ein wenig verpflichtete, wollte ich nicht vor mir selbst als Pharisäer dastehen.
    Ich ging auf den Flur und klopfte an die Nachbartür. Keine Antwort. Vielleicht hatte ich mich doch getäuscht? Ich klopfte stärker. Die Tür tat sich auf, und im Licht einer kleinen Stehlampe, die als einzige das Zimmer erhellte, sah ich die Gillelejesche in einem langen weißen Abendkleid mit ulkigen Zipfeln. Sie sah so hinreißend aus, daß ich es ihr sagen mußte. Aber sie reagierte nicht darauf, sondern fragte kühl:
    »Was wünschen Sie?«
    »Ich wollte dich – Sie – fragen, ob Ihnen vielleicht nicht gut ist. Ich

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