Wir Wunderkinder
beziehungsweise nicht an den Schwager zu bringen wagten, blieben sie für mich ›die Stummen‹.
»Ach, du lieber Gott«, sagte ich, »wenn mir da bloß keine Verwechslungen passieren!«
»Du sollst disch unterstehen!« fauchte Kirsten, »Umtausch ist bei uns nischt gestattet«, und Herr Hansen fügte hinzu: »Da hast du wieder einen Beweis für meine dänische Trägheit. Bloß ssweimal Kinder und drei Mädschen, und weil mir das erste Modell gefallen hat, habe isch es gleisch dabei gelassen.«
Dennoch blieb die Sache mit den drei Kirstens für mich verwirrend und für mein Herz nicht ganz ungefährlich.
Zu einer Zeit, da ich in Tiches' Tagebüchern nur markige Forderungen lese von ›Kreuzzug gen Osten‹ und ›Rückerstattung der Kolonien‹, lebte ich in einer Bilderbuchwelt, in der doch alles Schöne greifbar, faßbar, fühlbar, schmeckbar und riechbar war, und kräftigte und ergötzte meine fünf mir von Gott gegebenen Sinne.
Italien war immer dramatisch gewesen. Sein tägliches Straßenleben bestand aus kleinen Explosionen, die Kunst aus dramatischen Farb- und Marmorrevolutionen, und selbst die Landschaft wurde lebendig in vesuvischen Eruptionen. In Dänemark wurde mir das Leben zu einer epischen Sommeridylle – ach, der letzten! –, und selbst das Kattegatt, das in meinen früheren Phantasien etwas düster Drohendes besaß, ruhte als blauer Spiegel unter dem hohen sonnenheißen oder mondkühlen Himmel dieses erlesenen Sommers 1939.
Das Hansengrundstück war ein Garten inmitten des Gartens Seeland. Malven gab es darin, die über das Dach des behaglichen schwarzen Holzhauses hinauswuchsen, in zarten, ein wenig altmodischen Farben. Rosen standen an den Kieswegen, und eine offene Veranda war ganz von Kletterrosen eingesponnen. Der Garten hatte einen zweiten Ausgang nach der Strandseite, und dort kam man an ein Steilufer, das bis zu einem Leuchtturm immer steiler anstieg. Am hohen Uferweg wuchsen Heckenrosen als blühende Mauer gegen das Meer hin.
Aus allem sog die Sonne konzentrierte Düfte, sogar aus dem dünnen, windverwehten Kiefernwäldchen, das sich an die vielen Villengrundstücke des alten Fischerstädtchens anschloß – und die lauen Lüfte verbreiteten sie dienstfertig unter Einheimischen und Sommergästen.
Ich fühlte mich wunderbar wohl, wenn ich zwischen den drei von Tag zu Tag kaffeebrauner werdenden Kirstens in einer kleinen Sandkuhle am Strande lag und schmorte. Einmal sahen wir im heißen Mittagsglast die nachbarliche schwedische Steilküste sich vom tintenblauen Meer loslösen und sanft nach oben schweben, wobei das Spiegelbild auf dem Kopfe stand und der irdische und der himmlische Leuchtturm einander für Minuten berührten.
»Wenn ihr euch auch so verdoppeln könntet«, sagte ich aus faulem Nichtsdenken heraus. »Sechs Kirstens …!«
»Auch dann dürftest du disch nur von sswei S-tücken bedienen«, sagte die legale Braut mahnend, und Agda und Helga, denen sie meinen Ausspruch übersetzte, lachten mit holden Schwägerinnenaugen.
Danach waren wir wieder vier Menschen im Wasser und unter Wasser, und meine drei Kirstens schwammen und glänzten in der Sonne wie spielende Delphine.
Am Abend gab's am Gilleleje-Strand ein Feuerwerk, das stundenlang dauerte. Gemächlich stieg mal eine grüne und dann wieder eine rote Rakete zum Himmel empor, von dem es bunte Sterne herabregnete. Es war das langsamste Feuerwerk, das ich je erlebt hatte.
Ich fuhr mit meinen drei Hansenmädchen aufs Meer hinaus, und wohin ich auch schaute – vor oder hinter mich –, immer sah ich in dem sanften Feuerwerkslicht ein gleich hübsches Mädchengesicht. Als man dann am Strande Trauben von Kinderluftballons in diese nicht ganz finster werdende nordische Sommernacht aufsteigen ließ und an jeden Ballon ein brennendes Lichtchen angehängt war, legte ich die Ruder ein und sagte:
»So sollte es im Leben bleiben können. Immer sich treiben lassen. Immer Sommernächte. Immer jung sein.«
»Du wirst morgen den Pfarrer kennenlernen, welscher die Trauung an uns vornimmt«, antwortete Kirsten.
Das entsprach zwar genau ihrer realistischen Art und ihrer organisatorischen Entschlossenheit, aber mich stürzte es aus dem Himmel der bunten Sterne und der schwebenden Lichter. Ich sah mich bei einem in Schwarz gekleideten strengen Herrn Besuch machen, der mich die Zehn Gebote mit den sehr viel schwierigeren ›Was-ist-das?‹-Erklärungen aufsagen ließ. Ich hatte so gar keine Lust, jetzt irgend etwas an mir
Weitere Kostenlose Bücher