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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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erzählte ihm wohl neue Märchen oder überbrachte ihm die Grüße einer gewissen Wildgans, die im nachbarlichen Schweden den kleinen Nils Holgersson auf dem Rücken getragen hatte. Bei dem Abschied entbot auch sie auf ihre Art dem Dichter einen Gruß. Man sah schon mehr solcher weißer Streifen auf seiner erzenen Stirn.
    Wir tranken nachher selbdritt italienischen Chianti – »Skâl, Wera, im fernen Firenze!« –, und Kirsten küßte ihren Papa auf eine Stelle seiner hohen Stirn, wo sie nach hinten ins Bodenlose abzustürzen begann. Bei der vierten Flasche nannte mich Herr Hansen bereits ›Du‹, versicherte aber, das Küssen überließe er morgen der Schwiegermutter.
    Ich war so hochgemut und heiter, daß selbst diese Aussicht für mich kaum noch einen Schrecken besaß. Das Kattegatt hatte mir schon zwei so liebenswerte Vertreter entgegengesandt, daß es gar so entsetzlich, wie in meinen früheren Phantasien, wirklich nicht sein konnte. Zu später Stunde gingen wir noch zur Langen Linie, dem berühmten Kai, der sich bis zur Hafenausfahrt erstreckt. Hier gab's ein munteres Flanieren von Kopenhagenern und fremden Matrosen. Die untergehende Sonne sagte dem Mond überm Leuchtturm ›Gute Nacht‹, was er mit einem höflichen ›Guten Morgen‹ erwiderte. Auch bemühte er sich, den warm errötenden Wassern ein wenig von seinem kühlen Silber beizumischen.
    Wir setzten uns auf noch warme Steine des Molenkopfes und sahen zu, wie die Leuchtfeuer und Feuerschiffe rundum mit ihren Lichtspielen begannen. Ein weißes Touristenschiff tauchte riesenhaft auf und wurde kleiner, je näher es kam. Mit erleuchteten Kajüten und einer blaugelben Kreuzfahne rauschte es nahe an uns vorbei und war mit einem Male doch wieder riesengroß.
    Herr Hansen sagte, er sei nicht gewohnt, auf Stein zu sitzen, und gedenke, im nahen Pavillon nach einer Flasche Bier Ausschau zu halten. Viel Wasser mache ihm immer Durst.
    »Er ist sehr ssartfühlend und will uns allein lassen, damit wir uns mit Verlobungsglück bes-schäftigen können«, sagte Kirsten und bekam ein mondhelles Gesicht. »Aber wir tun dieses gerade nischt.«
    »Warum soll man einem so reizenden älteren Herrn nicht seinen Willen tun?« rief ich.
    »Nischt ihm – mir«, verbesserte Kirsten.
    Und weil auch sie nicht gewohnt war, auf Steinen zu sitzen, nahm ich sie auf meinen Schoß. Ihrem Vater hätte ich das nicht anzubieten gewagt.
    Wasser klatschte rhythmisch gegen die wirklich sehr lange Lange Linie. An Bord eines der ankernden Schiffe wurde auf einer Ziehharmonika etwas Melancholisches gespielt, und die Bojen sangen, von den sanften Abendwellen gehoben, ihr Lied dazu.
    »Unser Hochzeitslied«, sagte ich zu Kirsten.
    Sie konnte nicht mehr antworten, weil ein anderer Mund auf ihrem war.

»Sorgenfri«
    »Sag mal, wann kommen wir denn aus den Gartenvorstädten von Kopenhagen heraus?« fragte ich Kirsten, während wir mit Papa Hansen im Zug nach Norden fuhren.
    »Nie«, antwortete Kirsten, »ganss Seeland ist solsch ein Garten! Du kannst rundherum fahren, dann bist du am anderen Ende wieder in Kopenhagen.«
    »Was für falsche Begriffe man doch hat«, sagte ich und ließ das Fenster herunter, um sogleich die Nase voll kräftiger Meeressalzluft und die Augen voll Kohlenstaub zu haben.
    Schwiegervater biß schon wieder wacker in Smörrebrote und versicherte mir, er wisse genau, was die Deutschen von den Dänen dächten: Sie äßen immer, seien rosig und wohlbeleibt – »oh, entschuldige, isch bin in dieser Bessiehung eine Ausnahme!« – und gingen äußerlich in einem sehr langweiligen Land, innerlich aber immer noch revanchelustig auf den Düppeler Schanzen spazieren. Dabei reichte er mir ein Weißbrotschnittchen, auf dem sich Aal und Rührei ein wohlschmeckendes Stelldichein gaben.
    Ich aber zog zunächst einen Strich unter die Vergangenheit und vorsorglich auch unter die Zukunft und beschloß, in den nächsten Wochen allein der Gegenwart und jener unverschämt jung aussehenden Philologiedoktorin zu leben, die sich künftig meines Namens bedienen würde.
    Das Haus Hansen – es nannte sich sehr zutreffend ›Villa Sorgenfri‹ – empfing mich mit einem im Kattegattwind wehenden Danebrog, den Mutterküssen einer hochgewachsenen, schlanken, dunkelhaarigen Dame und zwei Mädchen, die genauso aussahen wie Kirsten, aber etliche Jahre jünger waren. Sie hießen Agda und Helga, gebärdeten sich als Zwillinge, und da sie ihre schwachen Deutschkenntnisse nicht an den Mann,

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