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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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›vornehmen‹ zu lassen. Dennoch sagte ich nichts.
    Am nächsten Tag schien Kirsten ihr Vorhaben vergessen zu haben. Wir luft-, sonnen- und meerbadeten wie immer und gingen nach dem gewichtigen Abendmittagessen zu einem Fußballspiel.
    Ich bin nie ein ›Fußballfan‹ gewesen, wie man das heute nennt, und verstehe daher auch nicht, warum zweiundzwanzig Männer sich um einen Ball raufen, da sie doch viel hübscher damit spielen könnten, wenn jeder seinen eigenen hätte. Aber weil Kenner der Massenpsychologie behaupten, daß man Völker und Menschen bei diesem Spiel am ehesten kennenlerne, folgte ich den vier weiblichen Mitgliedern der Familie Hansen auf das abgesteckte Blachfeld vor den Toren des Städtchens Gilleleje.
    Die Spieler waren zu meiner Überraschung samt und sonders in Kostümen. Da stürmte ein schwarzbärtiger Herr im Gehrock und mit einer Melone auf dem Kopf neben einer männlichen Dame mit eckigen Florstrumpfbeinen und einem wippenden Federhut. Ein wild mit Zündplättchen um sich knallender Cowboy riß den Ball an sich und warf ihn einer Kindsmutter in den Kinderwagen, nicht ohne das Baby vorher kurzerhand herausgekippt zu haben.
    Dieses Baby aber war – mir kamen mit einem Male alle Begriffe von bürgerlicher Reputation abhanden – mein Schwiegervater Hansen. Die besorgte, übervollbusige Mutter eilte herbei, um das plärrende, fünfundfünfzigjährige rotwangige Kindlein mit Starkbier aus einer überdimensionalen Milchflasche zu beruhigen, während schon der Cowboy das Leder mit Indianergebrüll ins gegnerische Tor karrte.
    »Dieses sind alle unsere Honorassioren von Gilleleje«, erläuterte mir Kirsten, »der Herr Frisör, der Notar, der Ssahnarsst, der Buchhändler, Fabrikanten und Fischhändler und so alle …«
    Ich dachte an meine kleine Heimatstadt zurück, wo man sich mit zwanzig Jahren schon nicht mehr auf der Straße im Dauerlauf bewegen durfte, wollte man nicht Würde und Gesicht verlieren, und meinte noch nie etwas so köstlich Albernes gesehen zu haben, wie diese angesehenen Herren vom Kattegatt, die sich bald wie die Lausbuben um den Ball rauften, bald wieder ihr sportliches Anliegen vergaßen und einander bei den Händen faßten, um inmitten des Spielfeldes singend Ringelreihen zu tanzen. Vater Hansen in seinem langen Babyhemd mit Spitzenkrägelchen sang das Kinderlied mit so dröhnendem Baß, daß der umgehängte Schnuller auf seiner Brust tanzte. Seine Frau und die drei süßen Töchter lachten darüber schallend.
    »Mir tut nur der Schiedsrichter leid«, sagte ich zu Kirsten und konnte vor Lachen selbst kaum noch reden.
    »Oh, er hat es schwierisch«, bestätigte mir meine Langbeinige, »du wirst ihm nachher ein Kompliment machen müssen.«
    Der Schiedsrichter dieser komischen Lustbarkeit war weder maskiert noch kostümiert. Als einziger sah er wirklich sportlich aus, und er versuchte sogar mit Abpfeifen und Trennen der ineinander verfilzten alten Herren so etwas wie Regeln in die Burleske zu bringen. Mit einem weißen, offenen Hemd und einem hellen Strohhut glich dieser breitbrüstige Mann einem tüchtigen Unternehmer. Ich hielt ihn für einen Schiffsreeder.
    Als das Spiel mit einem Torverhältnis von 35:50 zugunsten des Kindergartens beendet war, zog mich Kirsten über den Platz und stellte mich dem Herrn vor. Sein weißes Sporthemd war recht schwärzlich geworden, da auch er sich oft im Knäuel der Halbjahrhundertsknaben hatte mitwälzen müssen.
    »Mein Bräutigam«, sagte die Langbeinige und gebrauchte zum erstenmal dieses gestelzte Wort.
    »Oh, es freut mich«, sagte der breitbrüstige Herr mit sonorer Stimme und reichte mir seine feste Hand. Sein Deutsch war mustergültig. »Wir werden sehr bald miteinander zu tun bekommen.«
    »Ich spiele nicht Fußball«, sagte ich, »– leider!«
    »Aber Sie heiraten«, antwortete der Schiedsrichter, dem noch sein Signalpfeifchen um den Hals hing.
    »Er ist unser Traupfarrer«, erläuterte Kirsten die mir unklare Sachlage.
    Fröhliches Dänemark – das also war der gefürchtete Herr im schwarzen Bratenrock!
    »Sie wundern sich?« fragte der Pastor lachend, indem er auf das Pfeifchen deutete. »Dies ist nur eine Nebenbeschäftigung.«
    »Dann brauche ich also bei der Eheprüfung auch nicht die Fußballregeln aufzusagen?«
    »Ich werde Sie überhaupt nicht prüfen, – sie wird Sie prüfen!« sagte er und zwinkerte Kirsten zu. »Übrigens habe ich heute nachmittag mit dem Herrn Säugling dort gesprochen«, er deutete auf den

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