Wir Wunderkinder
Besitzer der Villa ›Sorgenfri‹, der noch immer in seinem lächerlichen Nachthemdchen auf der Wiese herumhüpfte, »und wir haben vereinbart, daß wir die Trauung in Helsingör halten. Dort sind schöne alte Kirchen.«
»In Helsingör – in Hamlets Stadt!« rief ich, und von dem schicksalsträchtigen Namen bewegt, fing ich zu rezitieren an: »Sein oder Nichtsein – das ist hier die Frage!«
»Das ist die Frage in jeder Ehe«, sagte der fröhliche Pfarrer und legte mir tröstend die Hand auf die Schulter.
Von diesem Augenblick an freute ich mich auf die Hochzeit.
Hamlets Zylinderhut
»Aufstehen! Heiraten!«
Durch diese Rufe Kirstens wurde ich unzeitig früh aus meinem Ferienschlaf geweckt. (Die erste Hälfte dieses Befehls sollte ich später in anderem Zusammenhang noch ziemlich oft hören.)
Trotz des fröhlichen Fußballpfarrers und der kattegattischen Lieblichkeit meiner Braut wurde mir doch etwas flau in der nüchternen Magengrube. Aber ich war kaum in die schwarze Hose geschlüpft, als es wieder an meiner Tür klopfte und Vater Hansen hereintrat.
»Isch bringe dir ein' klein' Kognak, mein Sohn«, sagte er, »isch kann dir alles nachfühlen.«
Wir tranken dann noch jeder ›ein' klein' Kognak‹ auf unser wechselseitiges männliches Wohl, und danach war uns beiden schon etwas besser zumute. Ich zog einen Frack an, der von einem der ersten Schneider Kopenhagens stammte und aus dem ersten und einzigen Frackverleih Helsingörs entliehen war. Viel Freud' und Leid mochte in seinem Seidenfutter schon herumgetragen worden sein. Spaßeshalber probierte ich vor dem Spiegel auch den Zylinder auf. Er war zu eng und kniff. Im ganzen kam ich mir in dieser Aufmachung wie ein junger Droschkenkutscher oder der Aquisiteur eines Bestattungsunternehmens vor.
Am Frühstückstisch erwartete mich viel weiße Weiblichkeit. Die ›stummen Schwestern‹ Helga und Agda waren sehr lebhaft und bewiesen die Munterkeit ihrer insgesamt vierunddreißig Lebensjahre durch ständiges Gekicher. Schwiegermutter sah in Schwarz sehr dekorativ und attraktiv aus.
»Man könnte sich in deine Mama verlieben«, sagte ich zu Kirsten, als wir schon im Auto saßen.
»Das könnte dir so passen«, sagte sie, »eine gansse ehrbare dänische Familie ausrotten.«
»Immerhin rotte ich an dir schon ganz hübsch ein paar Jährchen herum.«
»Nun hast du die Folgen ssu tragen«, antwortete die Dame, die in viel Schleiertüll verpackt war.
Die Fahrt zur Kirche wurde wunderhübsch. Sie führte zuerst durch Nadelwald, Gärten und Villengrundstücke, später durch Villengrundstücke, Gärten und Laubwald. Überall warteten noch Leute im Hochzeitsstaat an der Straße und wurden in Autos verfrachtet. In Helsingör waren wir ein Festzug von stattlicher Länge geworden.
»Alle Dänen sind miteinander verwandt«, erklärte die weiße Dame neben mir.
Dieses Helsingör gefiel mir. Vom Hafen herüber wummerte das hämmernde Dröhnen einer Werft, und in den engen Straßen des uralten Städtchens drängten sich Einheimische und Fremde vor den Läden, die alle ihre Prachtstücke, wie in Italien, auf der Straße ausstellten. Geblähte Damenblusen winkten uns in der leichten Sommerbrise mit beiden Armen, solide lange Herrenunterhosen mit beiden Beinen. Eine gotische Backsteinkirche zog unseren Wagen und mein Schicksal an. Zwei Schutzleute salutierten am schmiedeeisernen Gitter vor dem Kircheneingang …
»Isch habe sie für alle Fälle aufstellen lassen«, flüsterte Kirsten. »Wegen Fluchtverdacht!«
Sie konnte anscheinend nie ernst werden …
Als ich mit meiner schleierwehenden Kirsten die paar Schritte bis zum Kirchenportal ging, sah ich meine Schutzleute bereits in voller Aktion, um die lange Wagenkolonne unserer Hochzeit durch das Markttagsgewimmel von Helsingör zu schleusen.
Dann brauste eine Orgel auf, und das Zeremoniell begann. Nun packte es uns beide doch. Als ich in das Gesicht meines Kirstenmädchens sah, war es ganz klar und leuchtend vor Freude, aber es kullerten auch ein paar Tränchen darüber. Sonne mit Regenbogenglanz! Nur die als Brautjungfern fungierenden jungen Abgüsse Kirstens kicherten noch immer. Später erfuhr ich, daß sie der vom engen Zylinder herrührende Strangulierungsreif um meine Stirn erheitert hatte.
Sommermorgensonne fiel durch bunte Fenster. Choräle in der fremd vertrauten Sprache klangen, von meiner großen Traugemeinde gesungen, eindrucksvoll durchs Kirchenschiff. In jeder Atempause der Orgel und der Singenden
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