Wir Wunderkinder
hörte man draußen Schwalben, die ums hohe Kirchendach schrillten. Einmal schlug die Turmuhr dröhnend.
Jetzt müßte ich sie küssen, dachte ich – und dabei fiel mir Wera ein.
Meine Gedanken flogen ein wenig spazieren. Wera und Kirsten – nun waren sie wohl in dieser bezaubernden jungen Frau zu meiner Rechten für immer eins geworden.
Salute, Wera, in Fiesole – du wirst auch so denken!
Bald legte das Zeremoniell meine schweifenden Gedanken an die Leine. Wir knieten nieder und tauschten die Ringe. Der Pfarrer kam durch seine schöne, kräftige Menschlichkeit dem Göttlichen sehr nahe. Seine Traupredigt war ganz aus dieser Zeit und hatte keine Mühe, das Göttliche einzubeziehen, da es sich hier in gotischem Maßwerk, im Schwalbengesirr, in Bachmusik und Meeresrauschen offenbarte.
Nach der Trauung durchschritten wir ein so stattliches dänisches Menschenspalier, daß mich deutschen Stellungslosen beinahe der nationale Hochmut übermannte. Doch benahm ich mich, wie es dem Schwiegersohn eines Mannes gebührt, der mit Bier und Zeitungen zu tun hat.
Ein kleiner Kreis auserwählter Gäste folgte uns zu einem Imbiß in den Garten des Schloßrestaurants von Helsingör. Nun ja, es war das, was in Dänemark so Imbiß heißt. Als Kriegsgefangener servierte ich es mir später noch oft als Gedankenmenü und hatte dann eine Woche lang an der Erinnerung zu kauen.
Wir saßen auf einem Rasenplatz unter schattigen Bäumen, hatten gewaltige, wappengezierte Mauern mit wuchtigen Wehrtürmen vor uns, und die Insassen von fremdsprachigen Touristenautobussen bezogen uns als Gratiszugabe in die Schloßbesichtigung ein. Noch heute mögen unsere Bilder – Kirsten mit wehenden Schleiern und ich mit dem zu engen Zylinder – in Fotoalben von Michigan und Mexico-City prangen.
»How lovely«, hörten wir eine alte Amerikanerin sagen, »Hamlet and Ophelia.«
Meine durchaus nicht er-, aber Gott sei Dank auch nicht betrunkene Ophelia bestand darauf, daß wir selbzweit, ohne Brautgefolge und kichernde Schwestern, dem melancholischen Prinzen, der in Dänemark immerhin drei beglaubigte Gräber hinterlassen hat, einen Besuch abstatteten. Auf der berühmten Terrasse stand ein Posten im Stahlhelm und schaute gelangweilt über den tiefblauen Sund und auf die schwedische Stadt Hälsingborg gegenüber.
»Das ist Prinz Hamlets Freund Marcellus«, sagte ich zu Kirsten, »frag ihn, ob ihm hier schon mal ein Geist erschienen ist.«
Kirsten sprach den uniformierten, rotwangigen dänischen Bauernsohn an. Der schüttelte verwundert den Kopf.
»Nej«, antwortete er, »kun Turister!«
»Nein, nur Touristen«, echote Kirsten auf deutsch, und wir mutmaßten vergnügt, daß er auch bei uns keinen Geist entdecken würde.
In diesem Augenblick wehte ein gewaltiger Windstoß vom Lande her, der meine Braut, wie eine Orientalin, in ihre Schleier hüllte und meinen Zylinderhut entführte. Wir sahen ihn unten noch über Uferquader rollen und purzeln und dann im Oeresund baden gehen, wo er sich bald mit Wasser füllte und versank. Mir war leichter ums Haupt, meine junge Frau tat einen Freudengickser vor Lachen, und der Posten im Stahlhelm sah ihn ohne erkennbare Gemütsbewegung untergehen.
»Eines Tages werden Fischer den Ssylinder finden«, rief Kirsten, »ganss mit Tang und Algen bewachsen, und als Hamlets Hut wird man ihn ins Museum s-tellen.«
Für den Nachmittag war im Kurhotel des nahen Badeortes Hornbaek das eigentliche Hochzeitsmahl bestellt. Es wurde zu einem schweißtreibenden Bacchanal mit vielen Gängen, vielen dänischen Reden, die Kirsten mir gar nicht erst übersetzte, mit ewigen Zuprostereien und alledem, was man so an Scherz und Ernst auf eine abendländische Trauung folgen läßt. Draußen, vor den breiten Fenstern des Restaurants, sahen wir Leute in wehenden Bademänteln oder auch nur in Badekostümen vorübergehen. In meiner schwarzen Zwangskluft und mit dem brettsteifen Oberhemd, das bei jedem Atemzug wie eine Eichentür knarrte, beneidete ich sie sehr.
Sehnsüchtig lenkte ich Kirstens Blicke auf ein braungebranntes Liebespaar, das eng umschlungen vorbeiging, sich selbst und die Welt vergessend.
»Das ist nun aus!« flüsterte mir meine junge Frau zu und tat ernst. »Wir sind jetzt ein ans-tändisches bürgerlisches Ehepaar.«
Gegen elf Uhr zupfte mich Kirsten am rechten Frackschweif.
»Nun langt es aber«, sagte sie diktatorisch und befahl mir mit einem Augenwink, ihr in einem kleinen Abstand zu folgen.
Wir trafen uns wie ein
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