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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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Beute.
    »Ich werde Sie anzeigen«, rief das Männchen, das mich beim Arm hielt, und die Verzweiflung gab ihm übernatürliche Kraft.
    Während wir noch miteinander rangen, erkannte ich den alten Mann. Das war mein früherer Klavierlehrer, bei dem ich vor dreißig Jahren Schumanns ›Fröhlichen Landmann, von der Arbeit heimkehrend‹ eingedrillt bekommen hatte.
    »Herr Kantor Köggel«, sagte ich und schämte mich tief. »Kennen Sie mich noch?«
    Der alte Herr sah mich aus kurzsichtigen Augen an und schüttelte den Kopf. Während ich die Beute von meiner Schaufel in seinen Eimer gleiten ließ, nannte ich meinen Namen. Da erkannte er mich wieder.
    »Junge!« rief er und umarmte mich so heftig, daß seine Schaufel hinter meinem Rücken mit der meinen zusammenstieß. »Ist das eine Freude! … Nein, nein, aber behalte es nur –«, fügte er hinzu, indes er gerührt in den Eimer schaute. »Die von den Brauereipferden haben die beste Düngekraft.«
    Ich wehrte ab und entschuldigte mich wegen meines Übergriffs. Ich erklärte ihm, wie unser Tabak und die Tomatenpflanzen in diesem Jahre so mickrig geraten seien, daß Kirsten, aus gärtnerischen gillelejeschen Erfahrungen heraus, zur Anlage eines Mistbeets geraten habe.
    »Verheiratet bist du auch schon?« sagte der kleine alte Herr, der mich wohl immer noch im Matrosenanzug auf dem Klavierbänkchen sitzen sah. »Dann bring es bitte deiner Frau mit heim, als Gruß von mir.« Er kippte lächelnd den Inhalt seines Eimers in den meinen. »Statt Blumen!«
    Danach lud mich Kantor Köggel ein, mit auf sein Zimmer zu kommen. Er habe eine unbekannte Bachsonate entdeckt, die er mir vorspielen müsse.
    Es wurde eine Feierstunde, die mir die Tränen in die Augen trieb. Zum erstenmal seit meiner Heimkehr hörte ich wieder Musik, und diese reinen, klaren Klänge bekamen eine wunderbare Trostgewalt.
    Ich saß und schaute auf das alte Männchen mit seinem dünnen, grauen Zickelbart, das einst auch mit meinem Vater musiziert hatte. Ich sah das einzige Zimmer, das dem Witwer von seiner großen Wohnung übriggeblieben war und das nun, vollgestopft mit verrenkten Jugendstilmöbeln, dem schwarzen Bechsteinflügel mitteninne kaum noch Platz ließ. Verschossene dunkelbraune Samtportieren wehten vor den schlecht schließenden Fenstern, und zu meinen Füßen klirrte leise der Eimer mit dem Pferdemist, den ich auf Herrn Köggels dringenden Rat hatte mitnehmen müssen, um ihn vor dem gierigen Zugriff seiner Untermieter zu schützen. Und doch – trotz der grotesken Umwelt –, da war Bach, da war das Unvergängliche, das auch unser Elend und unsere Torheiten noch überdauern würde …
    Dieser Tag wurde überhaupt zu einem Glückstag. Am Nachmittag kam auf dem Umweg über Schweden ein dänisches Paket aus der Schweiz. Die Kinder standen staunend vor den Dosen und Packungen, deren bunte, papierene Glanzbilder sie entzückten. Doch auch wir – sonst Anhänger der modernen Kunst und Gegner des landläufigen Stillebens überm Nußbaumbüfett – betrachteten andächtig diese Kompositionen aus angeschnittenen Schinken, naturalistisch lachsfarbenen Lachsscheiben, in pastellenen Saucen ruhendem Fischzeug, mit Zwiebelringen, Gurkenstückchen und prall plastischen Kapern.
    Ich zog den Korken aus einer Aquavitflasche. Das Dänemark von 1939 duftete in unserer Behelfsküche. Der Duft aber verhalf mir zu einem Einfall.
    »Wir werden mit dem Paket zu Kantor Köggel gehen und uns für sein Geschenk revanchieren!« sagte ich. »Er wird danach Bach spielen.«
    Meine realistische Hausfrau brach nicht in Entzücken aus.
    »Er wird uns ssiemlich viel wegessen«, sagte sie.
    »Ein Greis«, ließ ich sie bedenken, »ein Kavalier der allerältesten Schule.«
    Da gab sie grollend nach.
    Der alte Kavalier – ich muß es heute gestehen – fraß wie ein zwanzigjähriger kanadischer Holzfäller. Zum Glück durfte er auf ärztlichen Rat hin keinen Schnaps trinken, so daß uns wenigstens der Aquavit als Trostspender verblieb, den ich schleunigst wieder in meiner Brusttasche verstaute.
    Unser Menü war nicht stilgerecht. Wir aßen ziemlich durcheinander saure Gabelbissen und süßen schwedischen Käse, Leberpastete und Aal und ließen auf Ananasscheiben gezuckerte Kondensmilch folgen, die wir auf Kaffeelöffel träufelten. Am Schluß nieste Herr Köggel so lange und intensiv, daß es ihm die Tränen in die Augen trieb.
    »Das ist bei mir immer so, wenn ich zuviel gegessen habe«, sagte er fröhlich und ließ die

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