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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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Bruno Tiches, allein. Ich kannte ihn sofort wieder, obwohl er ganz anders aussah, als man nach einem Weltuntergang aussehen muß. Er trug einen tadellosen Anzug, war noch dicker geworden, sein schütteres graues Haar umrahmte eine kreisrunde Glatze, und er hatte sich einen melierten Spitzbart zugelegt.
    »Guten Tag, Bruno«, sagte ich.
    Der Graubärtige fuhr zusammen und setzte einen Blechdeckel scheppernd auf einen Topf, der als oberster eines zusammengebundenen Stapels vor ihm stand. Dann brach er in ein kurzatmiges Gelächter aus.
    »Mensch«, sagte er und streckte mir die Hand hin, als habe ihn das Glück des Wiedersehens übermannt. »Hätt' ich doch nie gedacht, daß einer aus dem Kaff da unten bis hier raufkommt!«
    Ich war noch nicht soweit, die erste Frage zu tun, die Tiches' unbegreifliches Erscheinen an diesem Ort und in diesem Aufzug, hinter einem Stapel von Töpfen aller Größen, hätte erklären können, als die Bäuerin eintrat. Die war nun freilich nach dreißig Frauenjahren und noch mehr bäuerlichen Arbeitsjahren nicht mehr wiederzuerkennen.
    »Pst, kein Zuname!« flüsterte mir Bruno zu.
    Die Bäuerin beachtete mich nicht. Sie schien mich für einen Gehilfen des Topfhändlers zu halten.
    »Nein«, sagte sie in einem müden, ziehenden Ton, »wir haben soviel Zeug. Wir kaufen nichts.«
    »Aber, Verehrteste«, rief Tiches, der plötzlich allen Elan seiner Frühzeit wiederzugewinnen schien, »denken Sie doch: Töpfe! Heutzutage Töpfe! Und noch dazu prima Friedensware. Das gibt's in Jahren nicht wieder. Passen Sie mal auf, wie bald die hübsche Tochter heiratet. Dann gehört so was in die Aussteuer.«
    Die Bäuerin schüttelte den Kopf.
    »Die Lena war verheiratet. Drei Wochen. Dann ist der Mann gefallen. Meiner auch. Packt ein! Wir brauchen keine Töpfe.«
    Dabei schob sie mich mit ihrer harten Hand auf die Töpfe zu, so daß mir nichts übrigblieb, als den Stapel anzufassen und Tiches beim Tragen zu helfen. Ich wagte nicht zu sagen, daß ich nicht zu ihm gehörte, und schämte mich, in seiner Gegenwart um Eier zu bitten, um deretwillen ich ins Haus gekommen war.
    Der Kettenhund bellte auf dem Hofe hinter uns drein. Die junge Frau, die vorhin über meine Frage gelacht hatte, riegelte das Tor hinter uns ab, ohne unseren Gruß zu erwidern.
    »Stures Volk«, knurrte Tiches. »Aber beim nächsten Bauern wird's schon anders. Bis Abend bin ich das Zeug los. Die meisten sind ja froh, wenn sie's kriegen.«
    Jetzt mußte ich mich demütigen. Ich dachte an den armseligen, zerbeulten Topf, in dem Kirsten daheim alles kochte, von der Zwiebelsauce bis zum Kornkaffee. Wenn ich ihr einen dieser funkelnagelneuen Töpfe mitbrächte, wäre das für sie ein noch größerer Grund zu einem ›Fest‹ als ein Viertelpfund Butter oder vier Eier.
    »Läßt du mir einen Topf ab?« fragte ich Bruno und gab meiner Stimme eine gewisse Herzlichkeit, für die ich, nach allem Vorangegangenen, weiß Gott keinen Grund hatte.
    »Was gibst du dafür?«
    »Was er kostet …«
    Brunos Gelächter danach war durchaus gutartig.
    »Mensch«, sagte er und hieb mir mit seiner dicken Hand auf die Schulter. »Immer noch der alte Idealiste? So kommst du nie auf'n Topp. Auch auf meinen nicht!«
    Mit einemmal überkam mich die Wut. Ich sah den goldstrotzenden Mann in unserem Druckereisaal, vor dem eine Fahne gesenkt wurde, und sah ihn mit seinem Hofstaat prächtig in einer Opernloge sitzen. Ich sah aber auch meinen zusammengeschnurrten Andreas, der wegen dieses Kerls da nicht auf den Dörfern Theater spielen durfte.
    »Bruno«, rief ich, »weißt du, was du bist?«
    »'n Schwein, sag's ruhig. Aber ich sag' dir auch was! Ich komm' durch – auch jetzt. Das werd' ich dir beweisen. Mein Auto hab' ich schon von den Besatzern freibekommen. Das steht hinten im Hof von der Wirtschaft! Und wenn das Topfgeschäft von meiner Braut mangels Masse zu Ende ist, hab' ich genug, um was Neues anzufangen.«
    »Braut? Sind denn die Meisegeiers – ist Doddy –?«
    Ich war so verwirrt, daß ich überhaupt nicht mehr wußte, wie ich fragen sollte.
    »Meisegeiers! Fang' mir doch nicht von denen an – du weißt genau, was das für Leute waren!«
    »Na, und deine Partei? Dein Führer?«
    Jetzt betrachtete mich Bruno geradezu wohlwollend.
    »Hör mal«, sagte er, »du bist doch 'n intelligenter Mensch. Du weißt so gut wie ich, daß der Mann verrückt war.«
    »Und trotzdem hast du …«
    Ich brachte den Satz nicht zu Ende, weil er viel zu lang geworden wäre und

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