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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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Nippes auf den polierten Borden von seinen Nieskaskaden erzittern. »Und heute habe ich viel zuviel gegessen.«
    Als er sich beruhigt hatte, bat ich ihn, Bach zu spielen. Ich wisse ja, antwortete er, daß ein voller Bauch nicht gern studiere, und die überstandene Völlerei habe ihn müde gemacht. Er könne jetzt beim besten Willen nicht musizieren. Da ging ich selbst an den Bechsteinflügel und versuchte auswendig den ›Fröhlichen Landmann‹ zusammenzustöppeln. Meine Kinder bewunderten mich sehr, aber ich kam über die ersten Takte nicht hinaus, die ich, wie eine festgefahrene Schallplatte, immer wiederholte.
    »Du hast wieder nicht geübt«, tadelte mich Herr Köggel aus Halbträumen heraus und machte es uns leicht, uns zu verabschieden.
    Unter der Tür drückte er Kirsten als Abschiedsgeschenk eine abscheuliche Porzellangöttin in die Hand, die von den Zehen bis zu den Knien entblößt war und die in einer leicht angeschlagenen Hand eine goldene Kugel trug. Kirsten warf auf der Straße die Kugel samt Glücksgöttin gegen den nächsten Baum.
    »Das bringt Glück«, rief sie, angesichts der splitternden Scherben, grimmig aus.
    Da dieser Spätherbstabend sommerlich warm war, gingen wir, nachdem wir die Kinder zu Bett geschickt hatten, eng umschlungen wie ein Liebespaar, hinaus in den großen Park, wo wir uns hinter einer Fichtenhecke auf eine Bank setzten.
    »Sogar unsere Liebe müssen wir uns in dieser demoralisierten Zeit stehlen«, seufzte ich und hielt meine Kirsten eng umschlungen.
    »Liebst du jemanden?« fragte sie.
    »Die Mutter meiner Kinder.«
    »Wo wohnt diese?«
    Was konnte man daraufhin mit dem scheinheiligen Frauenzimmer anderes tun, als sie noch mehr liebzuhaben. Wir fühlten uns – und die erste Friedensnahrung war wohl mit schuld daran – so kattegattisch jung, daß uns die eintönige Kirchturmuhr, die mit beamteter Rechtschaffenheit die nächste Stunde schlug, zum fröhlichen Glockenspiel von Kopenhagen wurde. Ja, wir stellten entzückt fest, daß dies hier genau derselbe Mond und die gleichen Sterne waren, die uns einst zu unserem einsamen Hochzeitsnachtbad geschienen hatten. War da nicht auch ein leises, fernes Rauschen wie einst im Garten der Villa ›Sorgenfri‹?
    »Hörst du das Meer?« fragte ich Kirsten.
    »Ja«, sagte sie andächtig und lehnte sich mit geschlossenen Augen auf der Bank zurück.
    Wir genossen unser Allein- und unser Beisammensein. Wir genossen die stille Zeit nach dem großen Lärm der Jahrzehnte. Wir genossen uns …
    Ein Igel hinter unserer Bank ließ sich nicht stören und erzeugte mit den ersten dürren Blättern dieses Herbstes den Eindruck ferner kattegattischer Meeresbrandung.
    Um halb zwölf kam ein kühler Wind auf, der uns ins Haus trieb. Aber wir hatten keine Lust zum Schlafengehen, sondern setzten uns noch eine Weile in unsere Anrichteküche. Im Speiseaufzug rumpelte es. Ich schob leise die Klappe hoch und sah ohne Neid eine schön etikettierte Weinflasche aufwärts fahren. Von oben kam Musik, Tanzmusik; denn Herr Büllrump hatte seinen Radiosuper über die Beschlagnahme durch die Besatzungsmacht hinweggerettet.
    »Wenn wir dabei nicht laut reden, können wir jetzt tanzen«, sagte ich zu Kirsten.
    »Wenn wir tanssen, brauchen wir nischt ssu s-pre-chen«, flüsterte sie zurück.
    So tanzten wir vor der offenen Speiseaufzugsklappe zu gestohlener Musik bis um die Mitternachtsstunde. Da kam Edith in die Küche. Sie war sehr blaß und stöhnte:
    »Mammi, mir ist so schlecht.«
    »Du bist überfressen, Kind«, antwortete Kirsten. »Isch hoffe, es geht dem Herrn Klavierkantor genauso.«
    »Ob es an der Butter aus dem kleinen Döschen liegt?«
    Kirsten wußte nichts von Butter in einem kleinen Döschen. Sie ließ Edith das Döschen aus Dänemark holen, und ich wunderte mich, daß man in jenem glücklichen Lande Genußmittel in so winzigen Packungen verkaufte.
    »Beskyttelsesmiddel mod frost«, las die Mutter vor und erbleichte.
    »Was ist das?« fragte ich.
    »Frostschuss-salbe« – es war ein schwieriges Wort für dänische Zungen.
    Da lachte ich und meinte, wir würden wohl auf unsere Zuteilungen oft genug minderwertigere Lebensmittel bekommen, als es eine friedensmäßige skandinavische Frostsalbe sei.
    Zum Glück war noch ein ansehnliches Restchen Aquavit in der Flasche, das ich unserer Tochter als Gegengift verordnete. Getröstet und leicht betrunken ging sie wieder zu Bett.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich und strich meiner alten Liebe die

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