Wirbelsturm
mußte. Er mußte unreine Dinge essen, Bier, Wein und Alkoholika trinken, was gegen die Gebote unserer Religion verstößt, und noch vieles mehr. Bitte, habe Geduld mit ihm. Legt sich nicht auch ein roter Schleier über deine Augen, wenn du daran denkst, was die Sowjets deinen Eltern und deinem Land angetan haben? Habe Geduld mit ihm, ich bitte dich!«
Ich bin sehr geduldig gewesen, dachte Erikki. »Was ist mit meiner Frau, Exzellenz?« Es war üblich, selbst den Schwiegervater so anzureden, und Erikki tat es von Zeit zu Zeit aus Höflichkeit.
»Natürlich interessiert mich die Zukunft meiner Tochter. Was für Pläne hast du für deinen Aufenthalt in Teheran?«
»Ich habe keine Pläne. Ich halte es nur für vernünftig, für ein paar Tage aus Täbris zu verschwinden. Rákóczy hat gesagt, sie ›benötigen‹ meine Dienste. Wenn der KGB in Finnland so etwas sagt, muß man sich auf Schwierigkeiten gefaßt machen. Wenn sie zum Beispiel Azadeh entführten, wäre ich Wachs in ihren Händen.«
»Sie können sie in Teheran viel leichter entführen als hier, falls sie das vorhaben. Du vergißt, daß wir uns in Aserbeidschan befinden und nicht in Bachtiars Land.«
Erikki fühlte sich hilflos. »Ich kann nur das tun, was ich für das Beste halte. Und meiner Meinung nach ist es am besten, wenn wir nach Teheran fahren.«
»Dann fahrt!« Erikki war über die plötzliche Zustimmung ihres Vaters erschrocken. »Wenn ihr Hilfe braucht, schick mir eine verschlüsselte Nachricht …« Er überlegte einen Augenblick, dann lächelte er grimmig. »Laß mir den Satz zukommen: ›Alle Menschen sind gleich.‹ Das ist übrigens wahr, oder?«
»Ich weiß nicht, Exzellenz. Auf jeden Fall ist es aber der Wille Gottes.« Abdullah hatte unvermittelt gelacht, sich erhoben und ihn im kleinen Saal allein sitzen gelassen.
»Ist dir kalt, Erikki?« fragte jetzt Azadeh.
»Nein, überhaupt nicht«, antwortete er und tauchte aus seinen Überlegungen auf. Sie hatten beinahe die Paßhöhe erreicht. Der Verkehr in beide Richtungen war spärlich. Sie bogen um eine Ecke, kamen in den Sonnenschein und hatten den höchsten Punkt hinter sich. Erikki schaltete den Rover herunter, und sie begannen die lange Talfahrt. Die Straße, wie die Eisenbahn auf Veranlassung Schah Rezas erbaut, war ein technisches Wunderwerk, doch sie besaß an der Talseite kein Geländer, und sie war schneebedeckt und glatt. Erikki schaltete noch einmal herunter und war froh, daß sie nicht nachts gefahren waren. »Kann ich noch Kaffee haben?«
Sie schenkte ihm sofort einen Becher ein. »Ich freue mich auf Teheran. Ich muß eine Menge einkaufen, Scharazad ist dort, und meine Schwestern und meine Stiefmutter haben mir eine Liste von Dingen mitgegeben, die sie brauchen …«
Er hörte ihr kaum zu, weil er an Rákóczy, McIver und seine nächsten Schritte dachte.
Die Straße beschrieb eine Kurve nach der anderen. Er fuhr langsamer und vorsichtiger; einige Autos stauten sich hinter ihm. Das erste war ein überladener Personenwagen, und der Fahrer fuhr zu dicht hinter ihm und zu schnell. Er nahm den Finger nicht von der Hupe, obwohl es eindeutig unmöglich war, ihm Platz zu machen. Erikki bog um die nächste unübersichtliche Kurve, das Gefälle wurde stärker, auf der Geraden, nicht weit vor ihm, mühte sich ein schwerbeladener Lastwagen bergauf und wurde gerade von einem Auto überholt. Erikki bremste und fuhr dicht an die Felswand heran. In diesem Augenblick beschleunigte der Wagen hinter ihm mit heulender Hupe, überholte ihn blindlings und raste auf der falschen Seite der Straße weiter. Die beiden Autos verkeilten sich ineinander, stürzten 200 Meter über den Hang hinunter und standen sofort in Flammen. Erikki hielt an. Der bergauffahrende Laster dröhnte, als wäre nichts geschehen, vorbei, ohne stehenzubleiben – wie alle übrigen Fahrzeuge.
Erikki stand am Straßenrand und blickte hinunter. Die brennenden Überreste der Wagen waren über den ganzen Hang verstreut; es gab bestimmt keine Überlebenden und auch keine Möglichkeit, ohne Kletterausrüstung dort hinunterzukommen. Er kehrte zum Wagen zurück und schüttelte unglücklich den Kopf.
»Inscha'Allah, mein Liebling«, sagte Azadeh ruhig. »Es war Gottes Wille.«
»Nein, es war eine unglaubliche Dummheit.«
»Natürlich hast du recht, Liebster. Es war eine unglaubliche Dummheit«, gab sie sofort zu.
Sie fuhren weiter. Die Dörfer neben der Straße waren arm oder sehr arm. Die beiden sahen nur schmale
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