Wirbelsturm
Erdstraßen, rohe Hütten und Häuser, schmutzige Mauern, ein paar düstere Moscheen, offene Läden, Ziegen, Schafe und Hühner. Abfälle lagen auf der Straße und in den Gräben, und überall trieben sich räudige Hunde herum, die oft Tollwut hatten. Doch dank des Schnees wirkten die Landschaft und die Berge malerisch, und das Wetter blieb gut, wenn es auch kalt war.
Im Range-Rover war es warm und gemütlich. Azadeh trug einen gefütterten modernen Skianzug, darunter einen Kaschmirpullover und kurze Stiefel. Jetzt zog sie die Jacke aus und nahm die Wollmütze ab, so daß ihr das dichte, naturgewellte Haar auf die Schultern fiel. Gegen Mittag hielten sie, um neben einem Bergbach einen Imbiß einzunehmen. Am frühen Nachmittag fuhren sie durch Obstgärten, deren Bäume jetzt nackt und kahl waren, und erreichten dann die Vororte von Qazvin, einer Stadt mit etwa 150.000 Einwohnern und vielen Moscheen.
»Wie viele Moscheen gibt es im Iran, Azadeh?« fragte Erikki.
»20.000, hat man mir einmal gesagt.« Sie öffnete schläfrig die Augen und schaute nach vorn. »Ach, schon Qazvin. Du bist schnell gefahren, Erikki. Angeblich hat es 20.000 Moscheen und 30.000 Mullahs gegeben. Wenn du so weiterfährst, sind wir in ein paar Stunden in Teheran.« Sie gähnte, rückte sich bequemer zurecht und begann, wieder einzunicken.
Erikki fühlte sich jetzt sicherer, weil er den größten Teil der Fahrt hinter sich hatte. Ab Qazvin war die Straße bis nach Teheran gut. Dort besaß Abdullah Khan viele Häuser und Wohnungen, von denen die meisten an Ausländer vermietet waren. Ein paar hatte er für sich und seine Familie freigehalten und Erikki diesmal wegen der Unruhen eine Wohnung unweit von McIver angeboten.
»Ich danke dir«, hatte Erikki geantwortet, und Azadeh hatte später gemeint:
»Ich möchte wissen, warum er so freundlich gewesen ist. Das sieht ihm gar nicht ähnlich. Er haßt dich und mich, ganz gleich, was ich tue, um ihm zu gefallen.«
»Er haßt dich nicht, Azadeh.«
»Entschuldige, wenn ich dir widerspreche, aber er haßt mich. Ich habe dir ja schon gesagt, mein Liebling, daß meine älteste Schwester Najoud ihn gegen mich und gegen meinen Bruder aufgehetzt hat. Sie und ihr schlimmer Ehemann. Vergiß nicht, daß meine Mutter, Vaters zweite Frau, halb so alt wie Najouds Mutter und doppelt so hübsch war. Und obwohl meine Mutter bereits gestorben ist, als ich sieben war, verleumdet Najoud mich immer noch – natürlich nicht in unserer Gegenwart, dazu ist sie viel zu klug. Du hast keine Ahnung, Erikki, wie raffiniert, wie verschwiegen und mächtig die Frauen hier sein können, oder auch wie rachsüchtig, trotz ihrer honigsüßen Art. Najoud ist ärger als eine Schlange. Sie steckt hinter all diesen Feindseligkeiten.« Azadehs schöne blaugrüne Augen füllten sich mit Tränen. »Als ich klein war, hat mein Vater meinen Bruder Hakim und mich wirklich geliebt, und er hat uns allen anderen vorgezogen. Er hat mehr Zeit in unserem Haus als im Palast verbracht. Nach dem Tod unserer Mutter sind wir in den Palast übersiedelt, aber weder meine Halbbrüder noch meine Halbschwestern haben uns wirklich gemocht. Damals hat sich alles geändert, und Najoud war schuld daran.«
»Du zerfleischst dich selbst mit diesem Groll, Azadeh – und darunter leidest du, nicht Najoud. Vergiß sie! Sie hat jetzt keine Macht mehr über dich, und ich wiederhole: Du verfügst über keine Beweise.«
»Ich brauche keine Beweise. Ich weiß es. Und ich werde es nie vergessen.« Erikki hatte es dabei bewenden lassen. Es war sinnlos, deshalb zu streiten, noch einmal all die Dinge durchzukauen, die zu vielen Gewalttätigkeiten und Tränen geführt hatten. Es ist besser, wenn sie sich Luft macht, statt es in sich hineinzufressen, dachte er.
Die Straße säumten jetzt die ersten Häuser von Qazvin, einer Stadt, wie es sie im Iran hundertfach gibt: laut, übervölkert, schmutzig und eine Verkehrsstauung nach der anderen. Neben der Fahrspur befanden sich die joub, die Straßengräben, welche zu den meisten iranischen Straßen gehören. Hier waren sie einen Meter tief und teilweise betoniert. Sie waren voll Schneematsch, Eis und Wasser. Bäume wuchsen aus ihnen, die Einwohner wuschen in manchen die Wäsche, andere benützten sie als Abwasserkanal. Hinter den Gräben begannen die Mauern, welche Häuser und Gärten verbargen. Für gewöhnlich waren die Stadthäuser einen Stock hoch. Sie sahen aus wie graubraune Schachteln, waren zum Teil aus Steinen, zum
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