Wirbelsturm
Angst griff um sich. Er starrte Bakravan an, während Hassan, ein breitschultriger, kräftiger Mann, Paknouri aufhob, den Laden verließ und ihn das Gäßchen hinauftrug. »Wie es Allah gefällt«, sagte er, den Blick auf Bakravan gerichtet.
»Wohin … wohin werden Sie ihn bringen?«
»Ins Gefängnis natürlich, wohin denn sonst?«
»In welches … Gefängnis?«
Einer der Männer lachte. »Was spielt das noch für eine Rolle?«
»Ich würde es gern wissen, Exzellenz«, sagte Bakravan mit heiserer Stimme, bemüht, seinen Haß zu verbergen. »Bitte.«
»Ins Evin-Gefängnis.« Dies war das schändlichste der von der SAVAK verwalteten Gefängnisse gewesen. Yusuf fühlte, wie eine neue Welle von Angst sich ausbreitete. Bestimmt sind sie alle schuldig, dachte er. Er warf einen Blick auf seinen jüngeren Bruder, der hinter ihm stand. »Gib mir das Papier!«
Sein Bruder war knapp 15 und schmuddelig gekleidet. Er nahm ein halbes Dutzend Papiere aus der Tasche und blätterte sie durch, bis er ein bestimmtes gefunden hatte. »Da ist es, Yusuf.«
Der Anführer betrachtete es. »Ist es auch bestimmt das richtige?«
»Ja.« Mit einem unförmigen Finger zeigte der Junge auf den Namen und buchstabierte langsam: »J-a-r-e-d B-a-k-r-a-v-a-n.«
»Allah schütze uns«, murmelte ein Angestellter. Yusuf hielt Bakravan das Papier hin. Wie gelähmt sahen die anderen zu.
Kaum atmend nahm der alte Mann mit zitternden Fingern den Zettel entgegen. Sekundenlang flimmerte es ihm vor den Augen. Dann las er: »Jared Bakravan vom Basar in Teheran: Auf Anordnung des Islamischen Revolutionären Komitees und Ali'allah Uwaris wirst du aufgefordert, morgen unmittelbar nach dem ersten Gebet vor dem revolutionären Gericht im Evin-Gefängnis zu erscheinen, um Fragen zu beantworten.« Die Benachrichtigung war unterschrieben mit Ali'allah, der Rest war unleserlich.
»Was für Fragen?« wollte Bakravan wissen.
»Wie es Allah gefällt.« Der Anführer schulterte seinen Karabiner und erhob sich. »Bis morgen früh! Bring das Papier mit, und komm nicht zu spät!« Sein Auge fiel auf den Teppich. »Diese herrlichen Farben! Wunderschön! Prachtvoll!« Er seufzte, kratzte sich und wandte sich an Bakravan und Kia. »Wenn wir den Reichtum von uns Dorfbewohnern hier zusammenlegen würden und den unserer Familien und den der Familien unserer Väter – es würde immer noch nicht reichen, um auch nur ein Eckchen von einem solchen Teppich zu kaufen.« Er lächelte mit schiefem Mund. »Aber selbst wenn ich so reich wäre wie du, Geldverleiher Bakravan – weißt du übrigens, daß Wucher gegen die Gesetze Allahs verstößt? –, selbst wenn ich so reich wäre, würde ich mir trotzdem keinen solchen Teppich kaufen. Solche Schätze brauche ich nicht. Ich habe nichts, wir haben nichts, wir brauchen nichts. Nur Allah.«
Er stolzierte hinaus.
Nahe der Amerikanischen Botschaft: 20 Uhr 15. Seit fast vier Stunden wartete Erikki. Durch das Fenster der im ersten Stock gelegenen Wohnung seines Freundes Christian Tollonen konnte er die hohen Mauern sehen, die das von Scheinwerfern beleuchtete US-Gelände umgaben, die uniformierten Marineinfanteristen nahe dem riesigen Eisentor und das große Botschaftsgebäude dahinter. Immer noch herrschte dichter Verkehr. Jeder hupte, um schneller voranzukommen, und die Fußgänger waren so ungeduldig und egoistisch wie immer. Keine Ampel funktionierte. Kein Polizist war zu sehen. Nicht daß es etwas geändert hätte, dachte Erikki. Die Teheraner kümmern sich einen feuchten Kehricht um Verkehrsregeln, haben es nie getan und werden es nie tun. Wie diese Wahnsinnigen, die von der Straße durch die Berge hinuntergestürzt waren und sich selbst umgebracht hatten, auf der Fahrt nach Qazvin.
Bei dein Gedanken an Qazvin ballten sich seine großen Fäuste. In der Finnischen Botschaft waren heute früh Berichte eingetroffen, wonach in Qazvin eine offene Revolte ausgebrochen war. Die aserbeidschanischen Nationalisten in Täbris hatten sich abermals erhoben und griffen die mit dem Khomeini-Regime sympathisierenden Truppen an. Die ganze ölreiche und strategisch wichtige Grenzprovinz hatte ihre Unabhängigkeit von Teheran erklärt, die Unabhängigkeit, für die sie seit Jahren kämpften – ermutigt von der UdSSR. Ganz gewiß schwärmten Rákóczy und seine Genossen jetzt über Aserbeidschan aus.
»Natürlich sind die Sowjets hinter uns her«, hatte Abdullah Khan während ihrer Auseinandersetzung zornig bestätigt, kurz bevor er und
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