Wirbelsturm
Stolz gemein hatten.
Der Weg durch die Stadt hatte Azadeh sehr ermüdet. Sie fürchtete die ganze Zeit, einen Fehler zu machen oder entdeckt zu werden. Sie war krank vor Sorge um Erikki, und wußte nicht, wie sie zum Stützpunkt kommen und was sie dort tun sollten. Inscha'Allah, sagte sie sich ein um das andere Mal, Allah wird dich beschützen, dich und ihn und Johnny.
Als sie zu der Stelle kamen, wo der Karrenweg in die Straße nach Teheran einmündete, sahen sie hezbollahis und bewaffnete Männer neben einer primitiven Straßensperre stehen. Die Wachtposten beobachteten die Leute, die vorbeikamen, und ›untersuchten‹ die Fahrzeuge. Es gab keine Möglichkeit, ihnen auszuweichen.
»Du gehst als erste, Azadeh!« flüsterte Ross. »Warte weiter oben an der Straße auf uns. Wenn man uns aufhält, misch dich nicht ein! Geh weiter Richtung Stützpunkt. Es ist sicherer, wenn wir uns trennen.« Er lächelte. Die Angst ließ ihr Gesicht noch blasser erscheinen. Sie ging weiter und trug dabei seinen Tornister, denn als sie aus der Stadt gekommen waren, hatte sie darauf bestanden: »Schau die anderen Frauen an, Johnny! Wenn ich nichts zu tragen habe, falle ich sofort auf.«
Die zwei Männer warteten, gingen dann an den Straßenrand und urinierten in einen Schneehaufen. Menschen stapften an ihnen vorbei. Einigen fielen sie auf. Manche beschimpften sie als Ungläubige. Der eine oder andere wunderte sich über sie. Ohne es zu wissen, hatten sie ihre Notdurft in Richtung Mekka verrichtet, was ein Moslem nie getan hätte.
»Wenn sie durch ist, gehst du als nächster, Gueng! Ich komme in zehn Minuten nach.«
»Besser, Sie gehen jetzt«, widersprach Gueng. »Ich bin doch Turkmene.«
»Na schön. Aber wenn ich aufgehalten werde, misch dich nicht ein! Schleich dich vorbei und bring sie in Sicherheit! Ich verlasse mich auf dich.«
Der geschmeidige Gurkha grinste. »Lassen Sie sich nicht erwischen, Sahib! Sie haben noch viel zu tun.« Gueng sah an ihm vorbei zu der 100 Meter entfernten Straßensperre hinauf. Dort war gerade Azadeh an der Reihe. Einer der hezbollahis sagte etwas zu ihr, sie wandte den Blick ab und erwiderte etwas, und er ließ sie passieren. »Warten Sie nicht auf der Straße auf mich, Sahib! Vielleicht gehe ich ein Stück zurück und dann quer über die Felder. Machen Sie sich keine Sorgen! Ich finde Sie schon.« Gueng mischte sich unter die Menge, die in die andere Richtung ging. Nach etwa 100 Metern setzte er sich auf eine umgekehrte Kiste und schnürte seinen Stiefel auf, als ob er Schmerzen hätte. Seine Socken waren in Fetzen, aber das störte ihn nicht. Seine Fußsohlen waren hart wie Eisen. Gemächlich schnürte er dann wieder seine Stiefel; es machte ihm Spaß, Turkmene zu sein.
Vor der Straßensperre stellte sich Ross in die Reihe derer, die Täbris verließen. Die Menschen waren gereizt, denn wie immer haßten sie jeden, der ihnen das Recht verwehren wollte, zu gehen, wohin es ihnen paßte. Viele machten aus ihrem Ärger kein Hehl, und da und dort kam es fast zu einer Schlägerei. »Du«, sagte ein hezbollahi zu Ross, »wo sind deine Papiere?«
Zornig spuckte Ross vor ihm aus. »Papiere? Diese linken Hunde haben mein Haus niedergebrannt, haben meine Frau und mein Kind verbrannt. Mir ist nichts geblieben als dieser Karabiner und ein wenig Munition. Es war Allahs Wille – aber warum geht ihr nicht und verbrennt diese Satansbrut und tut das Werk Allahs, statt anständige Leute hier aufzuhalten?«
»Wir sind auch anständig«, gab der Mann erbost zurück. »Wir tun das Werk Allahs. Woher kommst du?«
»Aus Astara. Astara an der Küste. Und du?«
Der nächste in der Reihe und der Mann hinter diesem fingen an zu fluchen und forderten die hezbollahis auf, sich gefälligst zu beeilen und sie nicht in der Kälte warten zu lassen. Ein Polizist kam dahergeschlendert, und Ross beschloß, es zu riskieren. Er stieß einen Fluch aus und drängte sich einfach durch. Ein anderer Mann folgte ihm – und sie hatten die Sperre hinter sich. Der hezbollahi bedachte sie zwar mit einigen Schimpfwörtern, wandte sich jedoch dann anderen zu, die durch die Sperre wollten.
Ross brauchte eine kleine Weile, bis er wieder frei atmen konnte. Er beeilte sich nicht und setzte gemächlich seinen Weg fort. Von Azadeh war nichts zu sehen. Privatwagen und Lastautos kamen vorbei, quälten sich knirschend die Steigung hinauf oder kamen mit zu hohem Tempo herunter, so daß die Menschen von Zeit zu Zeit schimpfend auseinanderstoben.
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