Wirbelsturm
»Ist das der Mann, den Sie sehen wollten?«
»Ja, Exzellenz«, antwortete Minoru für Kasigi.
»Jetzt haben Sie ihn also gesehen. Sie können Ihrer Regierung oder wem auch immer berichten, daß er offensichtlich ärztlich versorgt wurde. Das Verkehrskomitee wird gegen ihn verhandeln.« Wichtigtuerisch wandte er sich zum Gehen.
»Aber der Captain war nicht der Fahrer«, wandte Kasigi geduldig auf Englisch ein, und Minoru übersetzte für ihn, wie er es schon die halbe Nacht und seit Tagesanbruch tat. Von den verschiedenen Polizeibeamten hatte er jedoch lediglich unterschiedliche Versionen der immer gleichen Antwort zu hören bekommen: »Befände sich der Fremde nicht im Iran, würde es keinen Unfall gegeben haben, und darum trägt er selbstverständlich die Verantwortung.«
»Wie oft muß ich Ihnen das noch sagen«, wies der Polizist den Einwand zurück. »Er hat den Wagen bestellt. Hätte er ihn nicht bestellt, hätte es keinen Unfall gegeben.«
»Aber mein Assistent hier war Augenzeuge und wird bestätigen, daß der Unfall von dem anderen Wagen verursacht wurde.«
»Wer dem Komitee Lügen auftischt, muß mit strengen Strafen rechnen«, entgegnete der Mann drohend. Er war einer von jenen, die im Polizeiauto gesessen hatten.
»Das sind keine Lügen, Agha. Es gibt auch noch andere Augenzeugen«, erklärte Kasigi in immer schärferem Ton – obwohl es gar nicht stimmte. »Ich verlange, daß dieser Mann unverzüglich auf freien Fuß gesetzt wird. Er ist ein Angestellter meiner Regierung, die Milliarden von Dollar in den petrochemischen Betrieb Iran-Toda investiert hat – zum Nutzen des Iran und insbesondere der Bevölkerung von Bandar-e Delam. Wenn er nicht unverzüglich, ich wiederhole: unverzüglich auf freien Fuß gesetzt wird, werde ich allen japanischen Staatsbürgern befehlen, die Arbeit einzustellen.« Da er weder die entsprechende Machtbefugnis besaß, noch ernstlich daran dachte, einen solchen Befehl zu erteilen, nahm seine Gereiztheit nur noch mehr zu. »Alle Räder werden stillstehen!«
»Beim Propheten, wir lassen uns nicht mehr von Fremden erpressen«, blies sich der Mann auf und wandte sich ab. »Das werden Sie dem Komitee erzählen müssen.«
»Wenn er nicht sofort freigelassen wird, schließen wir das Werk, und es gibt keine Arbeitsplätze mehr. Keine!« Während Minoru übersetzte, fiel Kasigi auf, wie sich die Stimmung der Umstehenden verändert hatte. Selbst der Polizeibeamte hatte das ungute Gefühl, daß alle ihn ansahen, und spürte förmlich die plötzlich gegen ihn gerichtete Feindseligkeit. »Willst du unsere Arbeitsplätze gefährden?« fragte ihn ein junger Mann in einem schmuddeligen Pyjama anklagend. »Wer bist du eigentlich? Woher sollen wir wissen, daß du früher nicht dem Schah gedient hast? Hat dich das Komitee schon von jedem Verdacht gereinigt?«
»Selbstverständlich! Ich hin schon seit Jahren für den Imam!« konterte der Mann zornig, von würgender Angst befallen. »Ich habe der Revolution geholfen, das wissen alle.« Er deutete auf Kasigi, den er im stillen verwünschte. »Sie! Kommen Sie jetzt mit!« Er drängte sich durch die Umstehenden. »Ich komme wieder, Captain Scragger, keine Bange.« Kasigi und Minoru eilten dem Beamten nach.
Der Polizist führte sie eine Treppe hinunter, einen Gang entlang und noch ein Stockwerk tiefer. Je weiter sie in das Innere des Krankenhauses vordrangen, desto mehr nahm Kasigis Nervosität zu. Endlich stieß der Mann eine Tür auf. Kalter Schweiß trat Kasigi auf die Stirn. Sie standen in der Leichenkammer. Auf Steinsockeln lagen mit schmutzigen Tüchern bedeckte menschliche Körper. Eine ganze Menge. Es stank nach Chemikalien, getrocknetem Blut, Abfall und Exkrementen. »Hier«, sagte der Mann und hob ein Tuch hoch. Darunter erblickten sie den kopflosen Rumpf einer Frau. Der Kopf lag daneben, die Augen standen offen. »Ihr Wagen hat sie getötet. Was soll jetzt mit ihr und ihrer Familie geschehen?« Ein Schauer lief Kasigi den Rücken hinunter. »Und hier!« Er riß ein zweites Tuch hoch und zeigte ihnen eine entsetzlich verstümmelte Frau. »Na?«
»Es … es tut uns natürlich sehr leid … es tut uns leid, daß es Opfer gegeben hat, aber das ist Karma, Inscha'Allah, nicht unsere Schuld oder die des Piloten oben.« Es fiel Kasigi nicht leicht, seine Übelkeit zu überwinden. »Tut uns schrecklich leid.«
Minoru übersetzte, während der Polizeibeamte sich respektlos an einen Leichensockel lehnte. Dann antwortete er, und der
Weitere Kostenlose Bücher