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Wirbelsturm

Wirbelsturm

Titel: Wirbelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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der Moschee auf der anderen Seite des kleinen Platzes. Dort kann ich das Ding ohne Gefahr loswerden, redete er sich ein. Aber die Menge war ständig angewachsen und füllte jetzt das Gäßchen. Solange sich die Zahl der Menschen nicht verringerte, würde es schwierig und gefährlich sein, sich der Granate zu entledigen, und so schob er Scharazad näher an den Brunnen heran, wo es dunkler war. »Mach dir keine Sorge! Wir warten ein Weilchen, dann gehen wir weiter.« Sie sprachen englisch – es gab so viel zu erzählen, so viel zu fragen. »Bist du sicher, daß dir nichts fehlt?«
    »O ja, ganz sicher. Wie hast du mich gefunden? Wann bist du zurückgekommen?«
    »Ich kam heute nacht an und ging zum Haus, aber du warst fort.« Und dann platzte er heraus: »Scharazad, ich bin Moslem geworden!«
    Sie starrte ihn an. »Ein Trick … ein Trick, um von ihnen wegzukommen!«
    »Nein, ich schwöre es dir. Vor drei Zeugen habe ich die Schahada gesprochen – vor Meschang, Zarah und Jari, und ich glaube. Ich glaube wirklich. Jetzt wird alles in Ordnung kommen.«
    Ihr Zweifel verschwand, als sie erkannte, wie froh er war. Immer wieder erzählte er ihr, was geschehen war. »Wie wunderbar, Tommy«, sagte sie, außer sich vor Glück und doch völlig sicher, daß sich für sie nichts ändern würde. Meschang wird einen Weg finden, um uns zu vernichten, ganz gleich, ob Tommy jetzt ein Gläubiger ist oder nicht. Nichts wird sich ändern, die Scheidung wird bleiben, die Wiederverheiratung wird bleiben. Außer …
    Die Ängste verflogen. »Können wir Teheran heute nacht verlassen? Können wir noch heute nacht fortgehen?«
    »Das ist jetzt nicht mehr nötig. Ich habe wunderbare Pläne. Ich habe bei S-G gekündigt. Als Moslem kann ich jetzt bleiben und für IranOil fliegen, verstehst du?« Sie merkten beide nicht, daß das Gedränge noch mehr zunahm, alle wollten nach Hause. »Kein Grund zur Sorge, Scharazad. Wir werden …« Jemand stolperte und rempelte ihn an, es hatte sich ein Menschenstau gebildet, der in ihre kleine Zufluchtsstätte eindrang. Sie sah, wie er einen Mann wegstieß und andere zu fluchen begannen. Schnell nahm sie ihn an der Hand und zog ihn weiter. »Laß uns heimgehen, Mann«, sagte sie in derbem Persisch, »zu Hause können wir besser miteinander reden.«
    »Ja, ja, Frau.« Gehen war besser und sicherer, Scharazad war bei ihm, und morgen würden sich alle Probleme lösen. Heute würde er nur noch baden und essen und schlafen und träumen.
    »Wenn wir heute nacht heimlich fortgehen wollten, ginge das, Tommy?«
    Müdigkeit flutete über ihn hinweg, und er wollte sie schon anfahren, ob sie ihn denn nicht verstanden habe. Aber er unterdrückte seinen Zorn und antwortete nur: »Es besteht kein Grund mehr zu flüchten.«
    »Du hast recht wie immer, Mann. Aber könnten wir?«
    »Ja, ja, ich denke schon«, gab er erschöpft zurück.
    Sofort strahlte sie vor Begeisterung. Sie war ganz sicher, daß es ihr gelingen würde, ihn zu überzeugen. Morgen würden sie fortgehen. Morgen früh stecke ich meinen Schmuck ein, wir verabreden uns mit Meschang zur Mittagszeit im Basar, aber da sitzen wir dann schon in Tommys Maschine und fliegen nach Süden. Er kann in die Golfstaaten fliegen oder nach Kanada oder sonstwohin, man kann ja Moslem sein und Kanadier, das hat man mir auf der Botschaft versichert. Und bald, in einem Monat oder so, kommen wir in den Iran zurück und bleiben für immer da. Zufrieden schmiegte sie sich an ihn, fühlte sich sicher in der Dunkelheit und dachte an die wunderbare Zukunft, die vor ihnen lag.
    Das Gäßchen mündete in eine Straße. Hier war das Gedränge noch stärker, aber über ihnen allen, Männern, Frauen, Mullahs, hezbollahis, jungen und Alten, schwebte magische Leichtigkeit – in dieser Nacht hatten sie Gottes Werk getan. »Allah-u Akbar!« rief einer, und die Worte fanden ihr Echo in tausend Kehlen. Vor ihnen kam ein ungeduldiger Wagen ins Schleudern, fuhr in ein paar Fußgänger hinein, die wieder andere, unter ihnen Lochart und Scharazad, schubsten und unter Flüchen und Gelächter zu Fall brachten; verletzt wurde keiner. Lachend blieben sie einen Augenblick auf dem Boden liegen. Die Granate hielt er immer noch fest in der Hand. Das warnende Zischen hörten sie nicht – ohne es zu merken, hatte er im Fallen den Hebel gelockert. Eine unendlich lange Zeitspanne lächelten sie einander an. Und im gleichen Moment starben sie.

Samstag
    3. März 1979

70
    Al Schargas: 6 Uhr 34. Die Sonne

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