Wirrnis des Herzens
vor sich hin. Das tat sie immer, wenn sie äußerst konzentriert war. »Ich frage mich hur, wie alt diese Lampe wohl war, als der Zauberer aus Afrika den Jungen nach ihr suchen ließ«, sagte Helen nachdenklich. »Vielleicht hundert Jahre? Oder sogar noch älter? Wie lange schon hatte sie in dieser unterirdischen Höhle gelegen? Und warum hat dieser Jaquar nichts davon geschrieben, warum sie so gefährlich ist? Über welche Irrwege gelangte sie dann in die Hände des Templerordens?«
Lord Beecham stand auf und kam auf Helen zu. Er nahm sie bei den Händen und zog sie zu sich heran. Seine Lippen streiften ihr Haar. »Vergessen Sie die Lampe. Sind wir doch mal ehrlich. Sie ist alt, uralt und schon lange nicht mehr auffindbar. Hören Sie, Helen, ich verzehre mich nach Ihnen. Ich klammere mich mit letzter Kraft an die letzte ehrenwerte Faser meines Körpers. Küssen Sie mich, Helen, und dann rennen Sie los!«
»In Ordnung«, sagte Helen, »wenn es das ist, was Sie wollen.« Sie beugte sich vor und küsste Lord Beechams Mund, sein Ohr und sein Kinn. »Wir sehen uns bei Usch«, sagte sie, wandte sich blitzschnell um und eilte zur Tür hinaus.
Eigentlich wäre sie viel lieber zu Lord Beecham zurückgegangen, aber sie tat es nicht. Die Sache war ihm sehr ernst, das wusste sie. Zum ersten Mal bemerkte sie, dass sie mehr über Lord Beecham als über die Wunderlampe nachdachte. Und das, obwohl Lord Beecham ihr gerade eben noch seine neuesten Erkenntnisse vorgetragen hatte. Aber er hatte ja Recht, wahrscheinlich war die Lampe längst für immer verschwunden. Wirklich wichtig war nur, dass sie sie überhaupt entdeckt hatten - dass die Wunderlampe tatsächlich existierte und sie einen Beleg für ihre Existenz gefunden hatten. Helen war glücklich. Die Lampe könnte jetzt sogar wieder zum reinen Mythos werden, dachte sie insgeheim.
Helen sah den Mann, den sie von ganzem Herzen liebte, den sie um alles in der Welt heiraten wollte, in Gedanken vor sich. Aber dann fiel ihr Gérard Yorke ein. Tief in ihrem Inneren spürte sie, dass er am Leben war und dass er sie sein Lebtag lang nicht in Ruhe lassen würde. Sie wusste nur nicht, warum.
Und in der stillen Einsamkeit ihres Schlafgemachs weinte sie und verfluchte dieses achtzehnjährige Mädchen, das so unglaublich dumm gewesen war zu glauben, einen derart widerlichen Mann zu lieben.
Spenser schien so sicher zu sein, dass alles gut werden würde, aber Helen konnte sich einfach nicht vorstellen, wie.
Am frühen Abend, Helen und Lord Beecham saßen gerade im Salon und tranken Tee, kam Lord Prith in den Salon geschlendert. »Ich habe eine Überraschung«, verkündete er. »Flock, bringen Sie es her.«
Flock kam mit einem silbernen Tablett herein. »Meine neueste Champagnerkreation«, sagte Lord Prith stolz.
»Er ist rot, Vater.«
»In der Tat, Nell. Das ist Traubensaft. Sieht das nicht herrlich gesund aus? Ihr dürft alle kosten.«
»Vater, Spenser und ich sind die Einzigen hier, und er mag keinen Champagner.«
Lord Prith seufzte und hob die Hand. »Wir werden das Ganze verschieben, Flock, bis uns ein breit gefächerteres Angebot an Testgaumen zur Verfügung steht.« Dann ließ er sich in einem der Sessel nieder. Erwartungsvoll lächelnd, fragte er: »Habt ihr mittlerweile darüber nachgedacht, was ihr in der Angelegenheit Gérard Yorke unternehmen wollt?«
»Nein, wir beginnen gerade erst damit«, sagte Lord Beecham. »Etwas zu Essen könnte dabei vielleicht helfen.«
»Der Koch hat ein exzellentes Zeitgespür«, verkündete Flock in der Tür stehend. »Es ist angerichtet.«
Während sie das ausgefeilte Menü genossen, bestehend aus Schweinelende mit Pilzen, Fisch mit Kapern in schwarzer Butter, unzähligen Beilagen, darunter die Spezialität des Koches, Eier au miroir, und Johannisbeer-Sahne-Creme zum Dessert, beschlossen sie, schon am nächsten Morgen alle zusammen nach London zu fahren. Helen, ihr Vater, Flock und Teeny würden in Lord Beechams Stadthaus übernachten. Nach drei einsamen Jahren würde das Haus endlich einmal wieder Gäste zu Gesicht bekommen. Damals, vor drei Jahren, war Lord Beechams Großtante Maudette mit ihren zehn besten Freundinnen nach London gekommen, elf alte Ladys, die schnatternd durch die Flure gelaufen waren und überall im Haus ihre Stickrahmen hatten liegen lassen. Wenn er so zurückblickte, dachte Lord Beecham, dann war das damals wirklich eine herrlich anregende Woche gewesen.
»Morgen früh um zehn werden Flock und ich abfahrbereit
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