Wirrnis des Herzens
sein«, sagte Lord Prith zu Spenser und fügte dann hinzu: »Nun, mit Sicherheit werden die Sherbrookes die ganze Zeit um uns sein. Ich brauche mir also keine Sorgen zu machen, dass Sie sich an meiner kleinen Nell vergreifen könnten, mein Junge.«
Für einen Moment herrschte Totenstille.
»Und dann ...«, sagte Lord Beecham und räusperte sich, »... werden Douglas und ich Sir John einen kleinen Besuch abstatten.«
»Ja«, sagte Helen, »aber seien Sie auf der Hut, Spenser, Sir John ist skrupellos und raffiniert. Ich weiß noch, wie sehr Gérard sich vor seinem Vater gefürchtet hat. Dieser Mann hat nicht nur ihn, sondern die gesamte Familie mit eiserner Faust beherrscht. Ich bezweifele wirklich, ob aus diesem alten Geier überhaupt irgendetwas Nützliches herauszukitzeln ist.«
Später am Abend lag Lord Beecham im Bett und machte sich über sein Leben Gedanken. Es war einerseits unglaublich kompliziert, gleichzeitig aber auch so klar und simpel wie der Frühlingsregen. Lächelnd erinnerte er sich, wie er Lord Prith vor dem Zubettgehen verkündet hatte: »Ich habe beschlossen, dass Sie würdig sind, in meinem Stadthaus im Tanzbärenzimmer zu übernachten.«
»Verrückter Name, mein Junge«, hatte Lord Prith erwidert.
»Nun, vor etwa fünfzig Jahren hielt mein Großvater sich einen Tanzbären, der eines der Schlafgemächer bewohnte, das Tanzbärenzimmer.«
»Wie hieß der Bär?«
»Guthry, glaube ich. Er und mein Großvater hingen sehr aneinander. Jeden Nachmittag tanzten sie zusammen. Kurz nach dem Tod meines Großvaters starb auch der Bär.«
»Ich hoffe«, bemerkte Lord Prith lächelnd, »man hat sie nicht zusammen begraben.«
»Ich befürchte, das stand sogar zur Debatte, aber ich glaube, meine Familie hat sich dann dagegen entschieden. Ach, wissen Sie, mit den Jahren musste ich lernen, dass in meiner Familie nichts so ist, wie man es erwartet.« Bis auf meinen Vater, fügte Lord Beecham in Gedanken hinzu. Mittlerweile aber war ihm auch das gleichgültig geworden. Er fühlte sich wie ein altes Gemäuer, dessen Geist endlich Ruhe gegeben hatte.
Während er sachte in den Schlaf sank, dachte er noch, dass das Leben einfach faszinierend war, heute - und vor tausend Jahren. Wer konnte schon mit Tanzbären in seiner Familiengeschichte aufwarten? Wie damals, als er noch ein kleiner Junge war, fragte sich Lord Beecham, wie es wohl sein würde, einen echten Tanzbären im Haus zu haben.
Lord Beechams Stadthaus London
Es war Freitagmorgen und der kleine Arbeitsraum im hinteren Teil des Gebäudes war voller Menschen. Alle redeten durcheinander und jeder hatte seine eigene Meinung. Vierzig Minuten später stießen auch noch Ryder und Sophie Sherbrooke dazu. Ryder, Vater von fünfzehn Kindern, betrachtete das Geschehen eine Weile im Türrahmen lehnend und sagte dann in einer Art bellendem Tonfall: »Wer jetzt nicht seinen Mund hält, bekommt keinen Nachtisch!«
Die allgemeine Aufmerksamkeit war ihm sicher. Einer nach dem anderen hörte auf zu reden und starrte ihn an.
»Ryder, Sophie, willkommen in London«, sagte Douglas Sherbrooke. »Kommt herein. Sicher hat euch unser kleines Rätsel hierher geführt. Ryder, kannst du dich an einen Seemann namens Gérard Yorke erinnern? Ein Mann, der damals, 1803, vor der französischen Küste nach einem Brand auf einem Schiff ertrunken sein soll?«
Ryder verzog grübelnd das Gesicht, rieb sich das Kinn und sagte dann nach einer Weile: »Ich hoffe, ich stürze euch damit nicht in Verzweiflung, aber der Kerl war ein großer Betrüger beim Kartenspielen. Einmal war ich dabei, als ihm einer beinah die Kehle aufgeschlitzt hätte. Aber dann fing die kleine Ratte an zu heulen, dass er in einer verzweifelten Notlage sei, weil sein Vater ihm nie genug Geld zukommen ließe. Als wir ihn fragten, warum er deshalb so verzweifelt sei, sagte er, er habe seit drei Monaten seine Mätresse nicht mehr bezahlen können. Dieser Mann war wirklich eine zwielichtige Figur und dazu unglaublich streitsüchtig. Ja, jetzt erinnere ich mich, er soll ertrunken sein. Warum diese Fragerei? Was soll er denn mit der ganzen Sache zu tun haben?«
Bei dieser Frage stieg der Geräuschpegel abermals an, bis Mrs. Glass, die Haushälterin, einige Minuten später in der Tür erschien und kräftig auf ihren Fingern pfiff. »Claude ist ein wenig erkältet, aus diesem Grund ist seine Stimme zurzeit nicht so strapazierfähig«, sagte sie entschuldigend. »Möchte jemand Tee und Gebäck? Nein, fangen Sie bloß nicht
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