Wirrnis des Herzens
erstochen. Daran, die Kopie zu stehlen, könnte er ebenso gut auch erst nach dem Mord gedacht haben. Vielleicht wusste er von ihrem Wert. Immerhin ist auch er ständig in Geldnöten. Sie werden es nicht glauben, aber er ist mit einem jungen Mädchen verheiratet. Die Kleine bettelt ihn Tag und Nacht um Flitterkram und Juwelen an. Er war in letzter Zeit regelrecht verzweifelt. Da haben Sie Ihren Verdächtigen, Lord Beecham.«
»Warum erzählen Sie das Ganze nicht einfach Ezra Cave?«
»Nicht nötig, Sir. Hab schon alles mitangehört. Völliger Schwachsinn, meiner Meinung nach. Aber ich werde es Ihrer Lordschaft melden. Mal sehen, was der von der Sache hält.«
»Ach, fahren Sie doch alle zur Hölle. Ich habe Pfarrer Mathers nicht ermordet. Ich wusste ja nicht einmal, dass Sie sich mit ihm im Britischen Museum treffen würden!«
»Das glauben Sie doch wohl selbst nicht.«
Lord Crowley sah aus, als wäre er bereit, ganz Shugborough Hill in Trümmer zu schlagen. Er entriss dem wie angewurzelt dastehenden Flock seinen Mantel und stürmte aus dem Salon. Sekunden später fiel die Eingangstür donnernd ins Schloss.
»Das Eigenartige ist nur«, sagte Lord Beecham nachdenklich und fuhr sich über das Kinn, »dass ich diesem Schuft glaube. Er hat Angst. Er macht sich in die Hosen vor Angst.«
»Aber Pfarrer Mathers' Bruder, dieser törichte Jammerlappen, Spenser?«
»Das kann ich mir auch nicht vorstellen, aber wer weiß? Am besten, wir setzen uns erst einmal hin, trinken eine Tasse Tee und lassen uns von Mr. Cave berichten, wie er mit seinen Nachforschungen vorangekommen ist.«
»Daraus ist nicht viel geworden. Meine Münzen klimpern schon in allen möglichen Taschen und meine Ohren kleben an allen möglichen Wänden, hinter denen sich flüsternde Kerle befinden. Aber irgendetwas werde ich schon noch herausfinden.« Ezra Cave wollte bereits eine Stunde später wieder auf dem Weg nach London sein.
Nachdem er gegangen war, sahen Helen und Lord Beecham einander an und fühlten sich wieder einmal hoffnungslos zueinander hingezogen; erneut stieg unbändiges Verlangen in ihnen auf. Es gelang ihnen aber, diesem Gefühl für einen Moment Widerstand zu leisten. Und wäre nicht in eben diesem Moment Lord Prith ins Zimmer getreten, sie wären abermals willenlos übereinander hergefallen.
»Ich habe das meiner kleinen Nell nie gesagt«, wandte sich Lord Prith an Lord Beecham, »aber wenn ich Gérard Yorke beschreiben sollte, dann würde ich sagen, er ist ein Betrüger. O ja, ich weiß natürlich, dass alle Welt ihn für einen Helden hielt, dass alle glaubten, er sei Lord Nelsons rechte Hand. Vielleicht traf das irgendwann einmal ja auch zu. Aber als ich ihm 1801 zum ersten Mal begegnete, da war er nicht mehr als eine verabscheuungswürdige Kreatur. Nur ließ sich das hinter all den Orden und Abzeichen gar nicht mehr erkennen. Dieser Brief, den du von ihm bekommen hast, Helen, ist so eine Art Vorbeben. Irgendetwas will er von dir, glaub mir, Helen. Ich weiß nur noch nicht, was das sein könnte. Tut mir Leid, Spenser, aber Gérard Yorke lebt. Ich kann ihn förmlich riechen.
Wenn ich Ihnen helfen kann, diesem verfluchten Kerl die Kehle durchzuschneiden, sagen Sie mir nur Bescheid. Wo steckt eigentlich Flock? Flock! Ah, da sind Sie ja. Ich möchte, dass Sie meinen Nacken massieren. Diese ganze Aufregung hat mich ganz steif gemacht.«
Mit diesen Worten verließ Lord Prith den Raum. Flock folgte ihm auf dem Fuße. »Ich frage mich, ob sich nicht eine Mixtur aus Champagner und süßer Sahne als perfekte Massagetinktur erweisen könnte«, hörten Helen und Lord Beecham Lord Prith noch sagen.
»O je«, seufzte Helen und richtete ihre vor Aufregung geweiteten Augen wieder auf Lord Beecham. »Das Ganze ist mir ein einziges Rätsel.«
»Da ergeht es mir nicht anders. Ich glaube, es ist für uns an der Zeit, nach London zurückzukehren. Wir brauchen Douglas Sherbrooke. Er kennt jeden in der Admiralität. Wir müssen unbedingt an Sir John Yorke herankommen. Ich werde Douglas eine Nachricht schicken. Wir müssen sicherstellen, dass er und Alexandra zurzeit in London sind.«
Lord Beecham trat auf Helen zu. Selbstverständlich hob er die Hand, um sie zu berühren, doch dann ließ er sie wieder sinken und wich einen Schritt zurück. »Nein«, sagte er bestimmt. »Nein. Wir sollten jetzt meine Fortschritte bei der Übersetzung besprechen.«
Anstelle des Wort für Wort übersetzten Textes zog Lord Beecham einige Blätter Kanzleipapier aus
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