Wittgenstein
was ich denke? Ich denke, dass du in deinem Haus lebst, denn ich habe es dir vererbt. Es ist dein Haus, es ist nicht mein Haus. Du hast dich erstaunlich gut darum gekümmert, bis hierher. Aber das reicht noch nicht. Du solltest dich nicht zu sehr ablenken lassen. Es gibt Dinge, die drohen aus deinem Sichtfeld herauszufallen. Dinge, die wirklich wichtig sind.«
»Was meinst du?«
»Ehrlich gesagt fehlt mir der Überblick. Ich kenne Bad Berleburg nicht, noch nicht jedenfalls. Außerdem bin ich betrunken, du solltest nicht zu viel von mir erwarten.«
Er steht auf, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Mit der offenen Flasche macht er es sich wieder auf dem Sofa bequem. »Ich bin an einer Sache dran, die wirklich gefährlich werden könnte. Es geht um Mord ...«
»Willst du jemanden umbringen?«
»Nein, im Gegenteil. Ich will jemanden daran hindern, weiter zu morden, aber ich habe keinerlei Erfahrung und keinen richtigen Plan.«
»Dann lass die Finger davon.«
»Ich habe lange genug nur zugeschaut, es ist an der Zeit, etwas zu tun.«
»Ah ja, und was?«
»Ich habe einen Verdacht. Es ist eine Ahnung, mehr nicht. Glaubst du an so etwas wie Gedankenübertragung?«
»Das ist keine Frage des Glaubens. Gedanken werden übertragen, auf die eine oder andere Weise.«
»Ich werde meine Arbeitskollegen in ihren Autos abhören, weil ich denke, dass einer von ihnen hier nachts auf der Landstraße absichtlich Leute totfährt.«
»Einer der Fahrer? Das hört sich gefährlich an. Vielleicht wäre es doch besser für dich, zuzuschauen, das solltest du dir überlegen.«
Der entschlossene Gesichtsausdruck, mit dem er ihr gegenüber auf dem Sofa sitzt, genügt, um ihr zu zeigen, dass er es sich nicht überlegen wird. »Wie willst du es anstellen?«
Er erzählt ihr, wie er es anstellen will, und sie hört ihm aufmerksam zu, ohne dass das Lächeln aus ihrem leicht geröteten Gesicht verschwindet. Nachdem er das Bier ausgetrunken und die leere Flasche auf den Tisch gestellt hat, gibt sie ihm einen letzten Rat:
»Im Gegensatz zu dir ist Anne keine Zuschauerin, nie gewesen. Sie muss weder dir noch sich etwas beweisen. Wenn ihr etwas passiert, würdest du dir das niemals verzeihen. Du musst sie aus der Sache raushalten. Sie darf davon nichts erfahren. Versprich es mir! Übrigens, lass es gut sein mit dem Suchen. Ein weiteres Foto von mir wirst du nicht finden, weil es kein weiteres Foto von mir gibt.«
Nachdem er eine zweite Flasche ausgetrunken hat, ruft er in Montreal an. Vor dem zweiten Klingeln hebt der Mann, dessen Türe sich am Tage niemals öffnet, ab. Nach nur drei Minuten hat er die passende Anlage für Marcos Zwecke gefunden. Eine etwas teurere, aber immer noch erschwingliche Möglichkeit: ein High-Sensitivity-Minisender in Verbindung mit einem kleinen Handscanner. Da die Batterien äußerst leistungsstark sind, kann Marco H. den Sender, einmal installiert, jederzeit und über mehrere Wochen hinweg über den Handscanner abhören. Recht schnell werden sie sich über die Finanzierung einig. Nachdem der Mann, dessen Türe sich am Tage niemals öffnet, einige Tipps zur Handhabung zum Besten gibt und sie ein paar Kontodaten ausgetauscht haben, unterhalten sie sich kurz über dieses und jenes in Montreal und Bad Berleburg. Bevor sie das sehr konkrete Gespräch beenden, verspricht der Mann schnelle Lieferung, und es dauert tatsächlich nur wenige Tage, bis Anton M., der sich schon vor Jahren offiziell einem erleichterten Postboten gegenüber dazu bereit erklärt hat, die Post für die »Hole 3« anzunehmen und weiterzuleiten, mit einem Paket in der Hand und der Hoffnung auf ein Stück Kuchen oder sogar Torte, zumindest aber eine Tasse Kaffee, an Marcos Tür klopft.
Was hofft er, mit dem Abhören der Fahrer zu erreichen? Was glaubt er zu hören? Erwartet er tatsächlich, dass der Fahrer sich in einem Monolog auf der Fahrt als Täter entlarvt? Oder durch etwas, das bei Gesprächen mit Fahrgästen durchsickert?
Das Gerät liegt gut in der Hand, doch jetzt, wo es in seiner Hand liegt, stellt sich die Frage, was es da soll. Wenn er erst einmal anfängt zu plappern, kann ein Handscanner mit seinem hohen Frequenzgang den Zuhörer ganz schön erschrecken:
»Ich habe sie plattgefahren, das hat sich so ergeben. Wenn es sich ergibt, und ich werde alles Notwendige dafür tun, dass es sich ergibt, werde ich auch dich plattfahren, Marco H. Ich werde dich zuerst umfahren, dann plattfahren und dann weiterfahren.« (in dem
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