Wittgensteins Mätresse: Roman (German Edition)
genug zu essen hatten.
Tatsächlich hat Modigliani selbst oft nicht gut gegessen, obwohl das im Wesentlichen darauf zurückzuführen ist, dass er stattdessen getrunken hat.
Einmal, in der Villa Borghese, in Rom, habe ich einen Spiegel signiert. Ich habe das in der Damentoilette getan, mit einem Lippenstift.
Was ich signierte, war ein Bildnis meiner selbst natürlich.
Sollte irgendjemand anders in den Spiegel geschaut haben, wäre meine Signatur jedoch unter dem Bildnis der anderen Person gewesen.
Zweifellos hätte ich es nicht signiert, wäre da noch irgendjemand anders zu sehen gewesen. Obwohl der Name, den ich tatsächlich daruntersetzte, Giotto war.
In diesem Haus gibt es nur einen Spiegel. Übrigens.
Was dieser Spiegel widerspiegelt, ist auch ein Bildnis meiner selbst. Selbstverständlich.
Obwohl tatsächlich, was er auch hin und wieder widergespiegelt hat, ist auch ein Bildnis meiner Mutter.
Was passieren wird, ist, ich werde einen Blick in den Spiegel werfen und für einen Augenblick meine Mutter sehen, die auf mich zurückblickt.
Natürlich werde ich mich selbst während jenes Augenblicks sehen.
Mit anderen Worten, alles, was ich wirklich sehe, ist das Bildnis meiner Mutter in meinem eigenen.
Ich nehme an, eine solche Illusion ist ziemlich gewöhnlich, und kommt mit dem Alter.
Was besagen soll, dass es nicht einmal Illusion ist, Vererbung ist Vererbung.
Dennoch, es ist eines der Dinge, die zu denken geben.
Selbst wenn es mir auch in den Sinn gekommen ist, zu begreifen, dass ich inzwischen vielleicht fast so alt bin, wie meine Mutter es damals war.
Meine Mutter war erst achtundfünfzig.
Obwohl sie genau fünfzig war, als ich ihr Porträt gemalt habe.
Nun, es war dieser Geburtstag, für den ich es gemalt habe.
Obwohl ich selten Porträts machte.
Es gab Zeiten, da habe ich es bereut, nie ein Porträt von Simon gemacht zu haben. Allerdings.
Zu anderen Zeiten glaubte ich nicht, ich hätte mir gewünscht, solch eine Erinnerung zu besitzen.
Und vielleicht war es ihr Hochzeitstag, für den ich die Porträts meiner Mutter und meines Vaters gemalt habe.
Tatsächlich war es ihr dreißigster Hochzeitstag.
Ich habe beide Porträts nach Diapositiven gemalt, das Geschenk sollte eine Überraschung sein.
Das hat es notwendig gemacht, Theatervorhänge in meinem Atelier aufzuhängen, um so eine dunkle Ecke einzurichten, in der ich vom Diaprojektor Gebrauch machen konnte.
Im Allgemeinen schien ich mehr Zeit damit zu verbringen, in die Dunkelheit hinein- oder aus ihr herauszugehen, als wirklich zu malen.
Um die Wahrheit zu sagen, womit ich im Allgemeinen den größten Teil der Zeit verbrachte, war sitzen, wann immer ich gemalt habe.
Manchmal kann man endlos sitzen, bevor man aufsteht, um einer Leinwand einen einzigen Pinselstrich hinzuzufügen.
Leonardo war bekannt dafür, durch halb Mailand zu gehen, um das zu tun, mit dem Letzten Abendmahl , auch wenn jeder andere geglaubt hätte, es sei fertig gewesen.
Was Das letzte Abendmahl nicht vor dem Zerfall bewahrte, zu Leonardos Lebenszeit, allerdings, wegen eines törichten Experiments, das er ausprobierte, mit Tempera, auf dem Verputz.
Sozusagen könnte man sogar sagen, dass Das letzte Abendmahl schon am Zerfallen war, während es noch gemalt wurde.
Aus irgendeinem Grund hat mich der Gedanke daran immer traurig gemacht.
Oft war ich auch überrascht, dass so viele Menschen nicht zu wissen schienen, dass Das letzte Abendmahl ein Gemälde eines Pessachmahles ist.
Ich habe doch nicht in Mailand haltgemacht, in jedem Fall, auf dem Weg von Venedig nach Savona.
Was das betrifft, hatte ich kaum beabsichtigt, in Savona haltzumachen.
Eine Böschung ist abgerutscht. Ich habe keine Ahnung, wie lange die Böschung schon am Zerfallen gewesen war, bevor ich dorthin gekommen bin.
Leonardo hat rückwärts in seine Notizbücher geschrieben, von rechts nach links, so dass sie, um gelesen zu werden, vor einen Spiegel gehalten werden mussten.
Sozusagen wäre das Abbild von Leonardos Notizbüchern echter als die Notizbücher selbst.
Leonardo war auch linkshändig. Und Vegetarier. Und unehelich.
Die Diapositive, die ich von meiner Mutter und meinem Vater gemacht habe, existieren noch immer. Vermutlich.
Vermutlich existieren auch von Simon alte Diapositive.
Ich vermute, es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ich so viel über Leonardo weiß und doch nicht weiß, ob die Diapositive, die ich von meiner Mutter und meinem Vater gemacht habe, oder irgendwelche von
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