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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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daß zwei Übersetzungen zeitgleich mit der englischen und der amerikanischen Ausgabe erschienen.
    Nach ihrer Lesung im Y hängte Ruth noch einen Tag in New York an; sie hatte sich zu ein paar Interviews und anderen Werbemaßnahmen für ihr neues Buch bereit erklärt. Anschließend wollte sie einen Tag und eine Nacht bei ihrem Vater in Sagaponack verbringen, bevor sie nach Deutschland zur Frankfurter Buchmesse flog. (Nach Frankfurt und einer Promotion-Tour für die deutsche Übersetzung wurde sie in Amsterdam erwartet, wo soeben die holländische Übersetzung erschienen war.)
    Ruth besuchte ihren Vater in Sagaponack recht selten, aber auf diesen Besuch freute sich sich richtig. Auf dem Programm standen auf alle Fälle ein bißchen Squash in der Scheune, lange Diskussionen – über Gott und die Welt – und sogar etwas Ruhe. Hannah hatte ihr versprochen, mit ihr nach Sagaponack zu fahren. Für Ruth war es immer besser, wenn sie nicht mit ihrem Vater allein war; wurde sie von einem Freund begleitet – und sei es einer ihrer seltenen, aber durch die Bank schlecht ausgewählten männlichen Freunde –, war zumindest jemand da, der für Ablenkung sorgte.
    Hannah flirtete gern mit Ruths Vater, und dann wurde Ruth sauer. Sie hatte den Verdacht, daß Hannah nur mit ihm flirtete, damit Ruth sauer wurde. Und Ruths Vater, der sich einer Frau gegenüber gar nicht anders verhalten konnte, flirtete zurück.
    Ruth hatte den Reiz, den ihr Vater auf Frauen ausübte, Hannah gegenüber einmal ziemlich vulgär so ausgedrückt: »Bei ihm hört man buchstäblich die Höschen der Frauen zu Boden gleiten.«
    Als Hannah Ted Cole zum erstenmal sah, sagte sie zu Ruth: »Was ist das für ein Geräusch? Hörst du es auch?« Ruth merkte es selten, wenn jemand einen Witz machte; sie ging grundsätzlich davon aus, daß andere Leute das, was sie sagten, absolut ernst meinten.
    »Was für ein Geräusch? Nein, ich höre nichts«, hatte sie geantwortet und sich umgeschaut.
    »Ach, das ist nur mein Höschen, das zu Boden gleitet«, hatte Hannah erwidert. Der Ausdruck war zu einer Art Code zwischen ihnen geworden.
    Wenn Ruth einem von Hannahs zahlreichen Freunden vorgestellt wurde und er ihr gefiel, fragte sie Hannah: »Hast du dieses Geräusch gehört?« Wenn Ruth ihm nichts abgewinnen konnte, was häufig der Fall war, sagte sie: »Ich habe nichts gehört. Du vielleicht?«
    Ruth stellte Hannah ihre Freunde nur äußerst ungern vor, weil Hannah dann unweigerlich sagte: »Ein Brüller! Jungejunge, ist da grade was Nasses auf den Boden geklatscht, oder sehe ich Gespenster?« (Nässe war ein Relikt aus Hannahs Sexualvokabular, das bis in ihre gemeinsame Zeit in Exeter zurückreichte.) Für gewöhnlich war Ruth nicht stolz auf ihre Freunde; sie legte nur selten Wert darauf, daß jemand anders sie kennenlernte. Und meistens war deren Gastspiel so kurz, daß Hannah sie nicht kennenzulernen brauchte.
    Doch jetzt, während Ruth hinter der Bühne saß, sich von dem Bühnenarbeiter, der von ihrem Busen sichtlich fasziniert war, anstarren und dazu noch Eddies weitschweifige Einführung in ihr Lebenswerk über sich ergehen lassen mußte (inzwischen hatte sich der arme Eddie in ihrem zweiten Roman verheddert), dachte sie wieder daran, wie sehr sie sich über Hannah ärgerte, weil sie zu spät zu der Lesung kam oder womöglich gar nicht aufkreuzte.
    Sie hatten sich nicht nur ganz aufgeregt darüber unterhalten, wie die Begegnung mit Eddie O’Hare wohl verlaufen würde, sondern diesmal legte Ruth auch den größten Wert darauf, daß Hannah ihren derzeitigen Freund kennenlernte. Ausnahmsweise wollte sie unbedingt wissen, was Hannah von ihm hielt. Sonst hätte sich Ruth in den meisten Fällen gewünscht, Hannah würde ihre Meinung für sich behalten. Und wo ist sie jetzt, wenn ich sie brauche? fragte sich Ruth. Fickt sich wahrscheinlich dumm und dämlich, wie Hannah es ausdrücken würde – das vermutete Ruth jedenfalls.
    Sie seufzte tief; ihr war bewußt, daß ihre Brüste sich hoben und senkten und dieser idiotische Bühnenarbeiter es hingerissen registrierte. Sie hätte den lüsternen jungen Mann daraufhin seufzen hören können, wenn Eddie nicht ununterbrochen weiterdoziert hätte. Aus reiner Langeweile starrte Ruth zurück, bis der junge Mann wegsah. Er hatte einen mickrigen Kinnbart, aus dem wohl ein Ziegenbart werden sollte, und einen kaum vorhandenen Schnurrbart, der ebensogut mit Ruß hätte aufgemalt sein können. Würde ich mir die Härchen nicht

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