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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Ausmaß, wie es in diesem Frühjahr zu beobachten war.«
    Diese Feststellung traf Eddies Vater jeden Sommer; und jedesmal erzeugte sie bei Eddie ein Gefühl stumpfer Apathie, so daß er sich einmal gefragt hatte, ob seine einzige sportliche Betätigung, nämlich das Laufen, nicht daher rührte, daß er der Stimme seines Vaters zu entfliehen versuchte, deren Tonfall so monoton und vorhersagbar war wie die Geräusche der Kreissäge auf einem Holzplatz.
    Noch bevor Minty ganz ausgesprochen hatte – er schien nie ein Ende zu finden, hatte aber zumindest innegehalten, um Luft zu holen oder einen Bissen zu essen –, fing Eddies Mutter an.
    »Als würde es nicht reichen, daß wir den ganzen Winter mit ansehen mußten, daß Mrs. Havelock es vorzieht, keinen BH zu tragen«, begann Dot O’Hare, »haben wir jetzt, wo wieder warmes Wetter ist, auch noch darunter zu leiden, daß sie sich partout unter den Achseln nicht rasieren will. Und ein BH ist auch nicht in Sicht. Das heißt also: kein BH und dazu noch behaarte Achselhöhlen!«
    Mrs. Havelock war die junge Ehefrau eines neuen Lehrers; insofern war sie, zumindest für Eddie und den Großteil seiner Schulkameraden, interessanter als die meisten anderen Lehrerfrauen. Die Jungen bewerteten ihre BH -Losigkeit positiv. Obwohl Mrs. Havelock nicht hübsch war, sondern ziemlich mollig und unscheinbar, gewann sie durch das Wiegen ihres jugendlichen, ausladenden Busens die volle Zuneigung der Schüler – und jener zahllosen Lehrer innerhalb des Kollegiums, die nie zugegeben hätten, daß sie das reizvoll fanden. In jener Vorhippiezeit, 1958, war Mrs. Havelocks BH- Losigkeit sowohl ungewöhnlich als auch bemerkenswert. Untereinander nannten die Jungen sie wegen ihrer hüpfenden Brüste Bouncy. Dem glücklichen Mr. Havelock, den sie glühend beneideten, bezeugten sie beispiellosen Respekt. Eddie, der Mrs. Havelocks Brüste ebenso genoß wie alle anderen, konnte das herzlose Mißfallen seiner Mutter nicht recht begreifen.
    Und nun noch die behaarten Achselhöhlen, die, wie Eddie zugeben mußte, bei den weniger weltläufigen Schülern Anlaß zu heftiger Bestürzung gegeben hatten. Zu jener Zeit gab es in Exeter Jungen, die anscheinend nicht wußten, daß auch bei Frauen in den Achselhöhlen Haare wuchsen – oder die sich mit der Frage herumquälten, weshalb eine Frau sich dort Haare wachsen lassen sollte. Für Eddie jedoch waren Mrs. Havelocks behaarte Achselhöhlen ein weiteres Indiz für die unbegrenzte Fähigkeit dieser Frau, Lust zu schenken. In einem ärmellosen Sommerkleid sah man ihre hüpfenden Brüste und ihre behaarten Achselhöhlen. Seit Beginn des warmen Wetters hatten sich nicht wenige Jungen angewöhnt, sie außer Bouncy auch noch Furry – Pelztierchen – zu nennen. Egal, unter welchem Namen, wenn Eddie O’Hare nur an sie dachte, bekam er einen Steifen.
    »Demnächst wird sie noch aufhören, sich die Beine zu rasieren«, bemerkte Eddies Mutter. Diese Vorstellung stimmte Eddie zugegebenermaßen nachdenklich, wenngleich er beschloß, mit seinem Urteil abzuwarten, bis er selbst feststellen konnte, ob ihm so ein Haarwuchs an Mrs. Havelocks Beinen gefiel oder nicht.
    Da es sich bei Mr. Havelock um einen Kollegen von Minty im English Department handelte, war Dot O’Hare der Meinung, ihr Mann solle mit ihm reden und ihm klarmachen, daß die »unkonventionelle Haltung« seiner Frau in einer reinen Jungenschule ausgesprochen unangebracht sei. Doch obwohl Minty es mit den schlimmsten Langweilern aufnehmen konnte, war er klug genug, sich nicht einzumischen, wenn es darum ging, wie die Frau eines anderen sich kleidete und ob sie sich unter den Achseln rasierte – oder es unterließ.
    »Meine liebe Dorothy, Mrs. Havelock ist Europäerin«, war alles, was Minty dazu sagte.
    »Ich weiß nicht, was das nun wieder heißen soll!« entgegnete Eddies Mutter. Doch sein Vater hatte sich bereits, so liebenswürdig, als wäre er nie unterbrochen worden, wieder dem Thema frühlingsbedingter Indolenz der Schüler zugewandt.
    Eddies unausgesprochener Meinung zufolge konnten einzig und allein Mrs. Havelocks frei bewegliche Brüste und pelzige Achselhöhlen der Lethargie abhelfen, die sich seiner bemächtigt hatte – und daß er sich so fühlte, lag nicht am Frühling, sondern an den nicht enden wollenden, zusammenhanglosen Gesprächen seiner Eltern; sie ließen in ihrem Kielwasser eine breite Spur stumpfer Trägheit und dumpfer Apathie zurück.
    Hin und wieder wurde Eddie von Mitschülern

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