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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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es versäumt hatte, auf die Karte zu schauen. »Nur gut, daß wir früh losgefahren sind«, fügte sein Vater hinzu.
    Sie hielten an einer Tankstelle, wo Joe O’Hare sich alle Mühe gab, mit einem Angehörigen der Arbeiterklasse ins Gespräch zu kommen. »Na, wenn das nicht eine mißliche Lage ist«, sagte O’Hare senior zu dem Tankwart, der auf Eddie leicht zurückgeblieben wirkte. »Hier haben Sie ein paar verirrte Exonianer auf der Suche nach der Fähre von New London nach Orient Point.«
    Wenn Eddie seinen Vater mit Fremden sprechen hörte, wäre er am liebsten jedesmal in den Boden versunken. (Wer außer einem Exonianer wußte schon, was ein Exonianer war?) Wie von einer flüchtigen Ohnmacht überwältigt, starrte der Tankwart auf einen Ölfleck auf dem Gehsteig rechts neben Mintys rechtem Schuh. »Sie sind in Rhode Island« war alles, was der unglückselige Mensch herausbrachte.
    »Können Sie uns sagen, wie wir nach New London kommen?« fragte Eddie.
    Als sie wieder auf der Straße waren, ergötzte Minty seinen Sohn mit Anmerkungen zum Thema geistiger Dumpfheit, die sehr häufig die Folge einer unterdurchschnittlichen Schulbildung war. »Das Abstumpfen des Verstandes ist etwas Schreckliches, Edward«, belehrte ihn sein Vater.
    Sie kamen so rechtzeitig in New London an, daß Eddie die frühere Fähre hätte nehmen können. »Aber dann mußt du ganz allein in Orient Point warten!« gab Minty zu bedenken. Schließlich gingen die Coles davon aus, daß Eddie mit der späteren Fähre eintraf. Bis Eddie klargeworden war, daß er viel lieber allein in Orient Point gewartet hätte, hatte die frühere Fähre abgelegt.
    »Die erste Seereise meines Sohnes«, sagte Minty zu der Frau mit den wuchtigen Armen, die Eddie ein Passagierticket verkaufte. »Es ist nicht die Queen Elizabeth und auch nicht die Queen Mary. Die Überfahrt dauert keine sieben Tage. Es ist auch nicht Southampton, wie in England, oder Cherbourg, wie in Frankreich. Aber eine kleine Seereise nach Orient Point tut es auch, zumal wenn man erst sechzehn ist!« Die Frau lächelte nachsichtig zwischen ihren Speckfalten hervor; obwohl sie kaum den Mund aufmachte, konnte man sehen, daß ihr ein paar Zähne fehlten.
    Als sie wenig später am Anleger standen, philosophierte Eddies Vater über das Thema diätetische Exzesse, die häufig die Folge einer unterdurchschnittlichen Schulbildung waren. Allein auf dieser kurzen Fahrt von Exeter hierher seien ihnen immer wieder Menschen begegnet, die glücklicher oder schlanker (oder beides) gewesen wären, wenn sie das Glück gehabt hätten, die Exeter Academy besuchen zu dürfen!
    Hin und wieder ließ Eddies Vater aus heiterem Himmel gute Ratschläge einfließen, die sich auf Eddies bevorstehenden Ferienjob bezogen. »Laß dich nicht nervös machen, nur weil Ted Cole berühmt ist«, sagte er ohne jeden Anknüpfungspunkt. »Er ist nicht gerade eine bedeutende literarische Persönlichkeit. Sieh zu, daß du möglichst viel mitbekommst. Achte auf seine Arbeitsgewohnheiten, stelle fest, ob seine Verrücktheit Methode hat – solche Sachen.« Als die anvisierte Fähre nahte, kamen Minty plötzlich Bedenken wegen Eddies Job.
    Erst wurden die Lastwagen eingewiesen. Der erste in der Warteschlange war ein Laster mit frischen Muscheln – vielleicht war er auch unterwegs, um eine Ladung frischer Muscheln zu übernehmen. Jedenfalls roch er nach nicht mehr ganz frischen Muscheln, und der Fahrer, der an dem fliegenverdreckten Kühlergrill lehnte und eine Zigarette rauchte, während die Fähre anlegte, war das nächste Opfer von Joe O’Hares spontanen Konversationsbemühungen.
    »Mein Junge ist auf dem Weg zu seinem allerersten Job«, verkündete Minty; Eddie hätte schon wieder in den Boden versinken mögen.
    »Ach ja?« antwortete der Fahrer des Muschellasters.
    »Er wird als Schriftstellerassistent arbeiten«, erklärte Eddies Vater. »Wohlgemerkt, wir wissen nicht ganz genau, was das alles beinhaltet, aber zweifellos anspruchsvollere Dinge, als Bleistifte zu spitzen, das Farbband an der Schreibmaschine auszuwechseln und die vielen schwierigen Wörter nachzuschlagen, die nicht einmal der Schriftsteller buchstabieren kann! Egal, was er zu tun hat, ich betrachte es als lehrreiche Erfahrung.«
    Der Fahrer des Muschellasters, der plötzlich dankbar für seinen Job war, sagte: »Viel Glück, mein Junge.«
    In letzter Minute, unmittelbar bevor Eddie an Bord der Fähre ging, lief sein Vater noch einmal zum Auto zurück. »Das hätte ich

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