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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Gelegenheit gehabt, mit ihrem holländischen Verleger Maarten Schouten, den sie liebevoll als »Maarten mit zwei a und einem e « bezeichnete, über ihren neuen, aufregenden Plan zu sprechen.
    Als die Übersetzung von The Same Orphanage erschienen war – den holländischen Titel, Hetzelfde weeshuis, konnte Ruth beim besten Willen nicht aussprechen –, hatte sie in einem bezaubernden, aber ziemlich heruntergekommenen Hotel an der Prinsengracht gewohnt, wo sie in der kleinen Kommode neben dem Bett, in der sie ihre Unterwäsche verstaute, einen ansehnlichen Marihuanavorrat entdeckte. Wahrscheinlich gehörte das Zeug einem ehemaligen Gast, doch da sich Ruth auf ihrer ersten Promotion-Tour in Europa befand, ging ihre Nervosität so weit, daß sie überzeugt war, ein bösartiger Journalist, der sie unbedingt in Verlegenheit bringen wollte, habe das Grass in ihrem Zimmer deponiert.
    Der vorher erwähnte Maarten mit zwei a und einem e hatte ihr versichert, daß der Besitz von Pot in Amsterdam kein nennenswertes Vergehen sei und schon gar kein Grund, sich zu genieren. Ruth hatte die Stadt von Anfang an ins Herz geschlossen: die Grachten, die Brücken, die vielen Fahrräder, die Cafés und die Restaurants.
    Bei ihrem zweiten Besuch anläßlich der holländischen Übersetzung ihres Romans Before the Fall of Saigon – sie war froh, Voor de val van Saigon zumindest aussprechen zu können – wohnte sie in einem anderen Teil der Stadt, am Dam, wo sich ein Journalist, der sie interviewte, wegen der Nähe des Hotels zum Rotlichtbezirk dazu aufgerufen fühlte, ihr die Prostituierten in ihren Schaufenstern zu zeigen. Ruth hatte weder den aufdringlichen Anblick der Frauen vergessen, die sich mitten am Tag in Slip und BH präsentierten, noch die » SM Specials« in der Auslage eines Sexshops.
    Dort hing, an einem roten Hüfthalter, eine Gummivagina von der Decke. Wenn man von dem Büschel künstlicher Schamhaare absah, glich sie einem baumelnden Omelett. Außerdem gab es Peitschen, eine Kuhglocke, die mit einem Lederriemen an einem Dildo befestigt war, Klistierkolben in verschiedenen Größen und eine Gummifaust.
    Aber das war fünf Jahre her. Ruth hatte noch keine Gelegenheit gehabt, festzustellen, ob sich das Viertel verändert hatte. Diesmal wohnte sie in ihrem dritten Amsterdamer Hotel, am Kattengat; es war nicht besonders stilvoll, und die wenigen unbeholfenen Versuche, wenigstens einen halbwegs anständigen Service zu bieten, scheiterten kläglich. Zum Beispiel gab es einen Frühstücksraum, der ausschließlich für die Gäste auf Ruths Etage bestimmt war. Der Kaffee war kalt, der Orangensaft warm, und die Croissants, ein Haufen Brösel, konnte man bestenfalls zur nächsten Gracht bringen und an die Enten verfüttern.
    Im Erdgeschoß und im Souterrain hatte das Hotel einen Fitneßclub eingerichtet. Die für die Aerobic-Kurse bevorzugte Musik konnte man noch mehrere Stockwerke über den Trainingsräumen in den Badezimmern hören, wo die Schlagzeugrhythmen ununterbrochen in den Wasserrohren dröhnten. Ruth gewann den Eindruck, daß die Holländer, zumindest beim Fitneßtraining, eine unbarmherzig stampfende, immer gleichbleibende Form von Rockmusik bevorzugten, die sie als ungereimten Rap eingestuft hätte. Ein Beat ohne Melodie wurde ständig wiederholt, während ein europäischer Vokalist, für den Englisch offenbar eine sehr fremde Sprache war, einen einzigen Satz wiederholte. In einem dieser Songs lautete er: »I vant to have sex vit you.« In einem anderen: »I vant to fook you.«
    Als Ruth die Fitneßeinrichtung persönlich inspizierte, verlor sie rasch jegliches Interesse. Eine als Fitneßstudio getarnte Single-Bar war nichts für sie. Auch die narzißtische Anordnung der Trainingsgeräte mißfiel ihr. Die Ergometer, die Laufbänder, die Stepper – sie alle standen in einer Reihe mit Blick auf die Aerobic-Fläche. Wo immer man sich befand, man konnte dem Anblick der springenden und ihre Kreiselbewegung vollführenden Aerobic-Tänzer in den Unmengen von Spiegeln ringsum nicht entgehen. Bestenfalls durfte man hoffen, einen verknacksten Knöchel oder einen Herzanfall mitzubekommen.
    Ruth beschloß, lieber spazierenzugehen. Die Umgebung des Hotels war neu für sie; tatsächlich befand sie sich näher am Rotlichtbezirk, als ihr klar gewesen war, aber zunächst machte sie sich in die entgegengesetzte Richtung auf den Weg. Sie überquerte die erste Gracht, an die sie kam, und bog in eine kleine, reizvolle Seitenstraße ein, den

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