Witwe für ein Jahr (German Edition)
oder zurückweichen sah – oder beides. (Natürlich warfen die Spiegel auch eine Vielzahl von Prostituierten zurück.)
Die rothaarige Frau setzte sich aufs Bett, genau in die Mitte des Handtuchs, ohne eigens hinsehen zu müssen. Sie überkreuzte die ausgestreckten Beine, so daß die Fersen auf den spitzen Hacken ruhten, legte die Hände auf die Oberschenkel und beugte sich vor; diese auf langjähriger Erfahrung beruhende Haltung, bei der sich ihre kecken, wohlgeformten Brüste vorschoben und das Dekolleté übermäßig betont wurde, gestattete Ruth durch die weinfarbene Spitze des knappen Halbschalen- BH s hindurch einen Blick auf die kleinen, fast purpurroten Brustwarzen. Der Bikinislip verlängerte das schmale V ihres Schritts, und darüber sah man die Schwangerschaftsstreifen auf ihrem vorgewölbten Bauch; die Frau hatte eindeutig Kinder zur Welt gebracht, zumindest ein Kind.
Sie deutete auf einen klobigen Sessel, in dem Ruth Platz nehmen sollte. Er war so weich, daß Ruth darin versank und ihre Knie an die Brust stießen, wenn sie sich vorbeugte. Sie mußte sich mit beiden Händen an den Armlehnen festhalten, um den Eindruck zu vermeiden, darin zu lümmeln.
»Der Sessel eignet sich besser zum Blasen«, erklärte die Prostituierte. »Ich heiße Dolores«, fügte sie hinzu, »aber meine Freunde nennen mich Rooie.«
»Rooie?« wiederholte Ruth, wobei sie sich Mühe gab, nicht daran zu denken, wie viele Freier schon in dem rissigen Ledersessel bedient worden waren.
»Das bedeutet ›rot‹«, erklärte Rooie.
»Verstehe«, sagte Ruth und schob sich in dem Sessel nach vorn. »Tja, ich schreibe eine Geschichte«, begann sie, aber da stand Rooie rasch von ihrem Bett auf.
»Du hast mir nicht gesagt, daß du Journalistin bist«, sagte sie. »Ich rede nicht mit Journalisten.«
»Ich bin keine Journalistin!« rief Ruth. (Meine Güte, wie weh dieser Vorwurf tat!) »Ich bin Schriftstellerin. Ich schreibe Bücher, erfundene Geschichten. Ich muß mich nur vergewissern, daß die Einzelheiten stimmen.«
»Was für Einzelheiten?« wollte Rooie wissen. Sie setzte sich nicht mehr aufs Bett, sondern ging auf und ab. Damit gab sie Ruth die Möglichkeit, weitere Details ihres sorgfältig ausgestatteten Arbeitsplatzes zu registrieren. An einer Wand hing ein kleines Waschbecken, daneben stand ein Bidet. (In den Spiegeln freilich sah man noch etliche Bidets mehr.) Auf einem Tischchen zwischen Bidet und Bett lagen eine Schachtel Kleenex und eine Rolle Papierhandtücher. Auf einem klinisch weißen Emailletablett befanden sich die üblichen sowie einige unübliche Gleitmittel und Gels, außerdem ein Dildo von beunruhigender Größe. Ein ähnlich steriles Weiß hatte der Abfalleimer; es war einer von denen, deren Deckel sich mit einem Fußhebel aufklappen lassen. Durch eine Tür, die einen Spaltbreit offenstand, sah Ruth eine unbeleuchtete Toilette mit hölzernem Sitz; zum Spülen zog man an einer Kette. Auf einem Tisch zwischen einer Stehlampe mit scharlachrotem Buntglasschirm und dem ominösen Sessel stand ein leerer, sauberer Aschenbecher, daneben ein geflochtenes Körbchen voller Kondome.
Alle diese Einzelheiten waren für Ruth wichtig, ebenso die geringe Tiefe des eingebauten Kleiderschranks. Die wenigen Kleider und Nachthemden, außerdem ein rückenfreies Lederoberteil, hatten nicht im rechten Winkel zur Rückwand Platz, sondern hingen schräg auf ihren Bügeln, als wollte sich die Prostituierte in einem vorteilhafteren Winkel präsentieren.
Die Kleider und Nachthemden und vor allem das rückenfreie Lederoberteil waren für eine Frau in Rooies Alter viel zu jugendlich. Aber was wußte Ruth schon von Kleidern oder Nachthemden? Kleider trug sie selten, und zum Schlafen bevorzugte sie einen Slip und ein T-Shirt in Übergröße. (Auf die Idee, ein rückenfreies Lederoberteil zu tragen, wäre sie nie gekommen.)
Ruth begann mit ihrer Geschichte. »Angenommen, ein Mann und eine Frau kämen zu Ihnen und würden dafür zahlen, Sie mit einem Freier beobachten zu dürfen. Würden Sie das machen? Haben Sie das schon mal gemacht?«
»Also das willst du«, sagte Rooie. »Warum sagst du das nicht gleich? Klar kann ich das machen, natürlich habe ich so was schon gemacht. Warum hast du deinen Freund denn nicht mitgebracht?«
»Nein, nein, ich bin nicht mit einem Freund hier«, entgegnete Ruth. »Ich möchte Sie nicht mit einem Freier beobachten, das kann ich mir vorstellen. Ich möchte nur wissen, wie Sie es anstellen würden und wie oft
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