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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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interessiert am meisten, was in der Frau vorgeht, die sich versteckt, in der Schriftstellerin. Nehmen wir an, der schlimme Freund ist erregt, er onaniert sogar, während sich die beiden versteckt halten. Und sie kann weder dagegen protestieren noch wenigstens ein paar Zentimeter von ihm abrücken, ohne daß der Freier merkt, daß er beobachtet wird. (Aber wie kann der Freund dann onanieren? Das ist ein Problem.)
    Vielleicht besteht die Ironie der Situation darin, daß die Prostituierte wenigstens dafür bezahlt worden ist, daß man sie benutzt, die Schriftstellerin jedoch ebenso benutzt wird. Sie hat Geld dafür ausgegeben, sich benutzen zu lassen. Tja. Autoren brauchen ein dickes Fell. Und das ist nicht ironisch gemeint.
    Allan hat angerufen. Ich habe ihm etwas vorgehustet. Jetzt, wo ich wegen des Ozeans zwischen uns nicht mit ihm schlafen kann, habe ich natürlich Lust darauf. Frauen sind pervers!
    Von dem neuen Buch habe ich ihm nichts erzählt, kein Wort. Es hätte die Wirkung der Postkarten zunichte gemacht.
[Noch eine Postkarte an Allan mit einer Luftaufnahme der Frankfurter Buchmesse mit ihren über 5500 Verlagen aus rund 100 Ländern]
NIE MEHR OHNE DICH. ALLES LIEBE, RUTH
    Auf dem KLM-Flug von Frankfurt nach Amsterdam: Sowohl mein Husten als auch mein blaues Auge sind so gut wie verschwunden. Der Husten macht sich nur noch als leichtes Kitzeln im Hals bemerkbar. Das Auge und der rechte Wangenknochen sind noch leicht verfärbt, gelblichgrün wie Chartreuse. Die Schwellung ist abgeklungen, aber ich sehe noch immer kränklich aus.
    Für jemanden, der eine Prostituierte ansprechen will, habe ich genau das richtige Aussehen – als könnte ich eine ansteckende Krankheit weitergeben.
    Aus meinem Amsterdam-Reiseführer erfahre ich, daß der Rotlichtbezirk, De Walletjes (»Die kleinen Mauern«) genannt, im vierzehnten Jahrhundert offiziell geduldet wurde. In alten Berichten finden sich verschämte Hinweise auf die in diesem Stadtteil anzutreffenden »spärlich bekleideten Mädchen in ihren Schaufenstern«.
    Wie kommt es, daß fast alles, was über das Schäbige, Schmutzige, Sexuelle und Abnorme geschrieben wird, stets in einem so wenig überzeugenden, überheblichen Ton daherkommt? (Sich über etwas zu amüsieren zeugt ebenso deutlich von vermeintlicher Überlegenheit wie Gleichgültigkeit.) Ich glaube, die meisten amüsierten oder gleichgültigen Reaktionen auf etwas Anstößiges sind unehrlich. Die Menschen fühlen sich von Anstößigem entweder angezogen oder finden es verwerflich oder beides; und doch geben wir uns Mühe, überlegen zu klingen, indem wir so tun, als würde es uns amüsieren oder gleichgültig lassen.
    »Jeder Mensch hat ein sexuelles Problem, mindestens eines«, hat Hannah einmal zu mir gesagt. (Falls das auch für sie gilt, hat sie mir nie verraten, welches.)
    Amsterdam bedeutet für mich die üblichen Verpflichtungen, aber für das, was ich zu erledigen habe, bleibt mir genug Zeit. Amsterdam ist nicht Frankfurt; nichts ist so schlimm wie Frankfurt. Und, ehrlich gesagt, kann ich es kaum erwarten, meine Prostituierte kennenzulernen! Diese »Recherche« hat den prickelnden Reiz von etwas Unanständigem, dessen man sich schämen muß. Denn es ist völlig klar, daß ich der Kunde bin. Ich bin bereit – ja, ich rechne fest damit –, dafür zu bezahlen.
[Noch eine Postkarte an Allan, aufgegeben am Flughafen Schiphol, auf der – ähnlich wie auf der Postkarte mit den deutschen Prostituierten in den Fenstern in der Herbertstraße, die sie ihrem Vater aus Hamburg geschickt hatte – De Walletjes zu sehen sind: Die Neonlichter der Bars und Sexshops spiegeln sich in der Gracht; die Passanten, lauter Männer in Regenmänteln; in dem Fenster im Vordergrund des Fotos, eingerahmt von purpurroten Lämpchen, sitzt eine Frau in Reizwäsche. Sie sieht aus wie eine deplazierte Schaufensterpuppe, wie eine Leihgabe aus einem Wäschegeschäft, wie jemand, der für eine Privatparty angeheuert wurde]
VERGISS MEINE LETZTE FRAGE. DER TITEL LAUTET: ›MEIN LETZTER SCHLIMMER FREUND‹ – ES IST MEIN ERSTER ROMAN IN ICH-FORM. JA, WIEDER EINE SCHRIFTSTELLERIN. ABER VERTRAU MIR! ALLES LIEBE, RUTH
    Die erste Begegnung

    Das Erscheinen von Niet voor kinderen, der holländischen Übersetzung von Not for Children, war der Hauptgrund für Ruth Coles dritten Besuch in Amsterdam, doch nun betrachtete sie die Recherche für ihre Prostituiertengeschichte als primäre Rechtfertigung dafür, daß sie hier war. Noch hatte sie keine

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