Witwe für ein Jahr (German Edition)
gefiel!)
Unter den jungen Männern, die mindestens zehn, manchmal aber auch fünfzehn Jahre jünger waren als Ruth, gab es immer einen, der einen ungeschickten Versuch unternahm, sie anzubaggern. (»Geradezu herzzerreißend unbeholfen«, wie Ruth es Maarten und Sylvia gegenüber ausdrückte.) Als Mutter zweier Söhne in diesem Alter wußte Sylvia genau, was Ruth meinte. Maarten hatte als Vater mehr auf seine Söhne geachtet als auf die unbekannten jungen Männer, die um Ruth herumwuselten.
Diesmal war ihr einer besonders aufgefallen. Er stand sowohl in Amsterdam als auch in Utrecht nach der Lesung an, um sich ein Buch signieren zu lassen; sie hatte an beiden Abenden dieselbe Passage vorgelesen, was diesen jungen Mann jedoch nicht zu stören schien. Zu der Lesung in Amsterdam hatte er die abgegriffene Taschenbuchausgabe ihres ersten Romans mitgebracht, in Utrecht hielt er ihr ein gebundenes Exemplar von Nichts für Kinder zum Signieren hin – beide Male die englische Originalausgabe.
»Ich heiße Wim mit W «, sagte er beim zweitenmal, weil Wim »Vim« ausgesprochen wird und Ruth seinen Namen beim erstenmal mit V geschrieben hatte.
»Ach, Sie sind es wieder!« sagte sie zu dem jungen Mann. Er war so hübsch und so offensichtlich hingerissen von ihr, daß sie ihn einfach wiedererkennen mußte. »Wenn ich gewußt hätte, daß Sie kommen, hätte ich einen anderen Abschnitt gelesen.« Er senkte den Blick, als könnte er es nicht ertragen, sie anzusehen.
»Ich gehe in Utrecht zur Schule, aber meine Eltern leben in Amsterdam. Ich bin dort aufgewachsen.« (Als wäre das eine ausreichende Erklärung dafür, daß er zu ihren beiden Lesungen gekommen war!)
»Lese ich morgen nicht noch einmal in Amsterdam?« erkundigte sich Ruth bei Sylvia.
»Ja, in der Vrije Universiteit«, sagte Sylvia zu dem jungen Mann.
»Ja, ich weiß, ich werde dasein«, antwortete der Junge. »Ich bringe ein drittes Buch zum Signieren mit.«
Während Ruth weitersignierte, stellte sich ihr junger Bewunderer neben die Schlange und betrachtete sie sehnsüchtig. In den Vereinigten Staaten, wo Ruth sich grundsätzlich weigerte, ihre Bücher zu signieren, hätte ihr der anbetungsvolle Blick des jungen Mannes Angst eingeflößt. In Europa hingegen, wo sich Ruth für gewöhnlich darauf einließ, ihre Bücher zu signieren, fühlte sie sich von den verliebten Blicken ihrer jungen männlichen Bewunderer nie bedroht.
Dem Phänomen, daß Ruth zu Hause so beunruhigt war und sich im Ausland so wohl fühlte, lag eine fragwürdige Logik zugrunde; zweifellos betrachtete Ruth die sklavische Ergebenheit ihrer jungen Leser in Europa mit romantischen Augen. Für sie gehörten sie in eine untadelige Kategorie, diese von ihr hingerissenen jungen Männer, die Englisch mit einem ausländischen Akzent sprachen und jedes Wort aus ihrer Feder gelesen hatten – und in deren gequälten jungen Hirnen sie zur Phantasiegestalt der reifen Frau wurde. Umgekehrt begannen auch sie die Phantasie von Ruth anzuregen, die sich auf der Rückfahrt nach Amsterdam mit Maarten und Sylvia sogar darüber lustig machte.
Die Zugfahrt war zu kurz, um ihnen alles über ihren neuen Roman zu erzählen, was ihr im Kopf herumging, aber während sie gemeinsam über die jungen Männer lachten, die Ruth alle hätte haben können, wurde ihr klar, daß sie ihre Geschichte ändern wollte. Der junge Mann, den die Schriftstellerin bei der Frankfurter Buchmesse kennenlernt und dann mit nach Amsterdam nimmt, sollte nicht auch Schriftsteller sein, sondern einer ihrer jungen Fans – ein Möchtegernautor und ein Möchtegernliebhaber. Ihre Hauptfigur müßte sich Gedanken darüber machen, daß es höchste Zeit wurde zu heiraten; und sie sollte, genau wie Ruth, erwägen, den Heiratsantrag eines beeindruckenden älteren Mannes anzunehmen, für den sie eine tiefe Zuneigung hegt.
Der junge Mann namens Wim war so unerträglich hübsch, daß es Ruth schwerfiel, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen. Hätte sie nicht gerade diese erbärmliche Geschichte mit Scott Saunders erlebt, wäre sie sogar versucht gewesen, sich mit ihm zu vergnügen (oder lächerlich zu machen). Schließlich war sie allein in Europa; nach ihrer Rückkehr würde sie voraussichtlich heiraten. Eine kurze Affäre ohne Reue mit einem jungen Mann, einem viel jüngeren Mann … war das nicht genau das, worauf ältere Frauen, die demnächst einen noch älteren Mann heiraten wollten, für gewöhnlich aus waren?
Jedenfalls erklärte Ruth Maarten und
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