Witwe für ein Jahr (German Edition)
deine Wut ist gut für dich.«
»Ich bin mit dem Wagen hier«, sagte Allan zu Ruth. »Soll ich dich in die Stadt bringen oder nach Sagaponack?«
»Nach Sagaponack«, sagte Ruth. »Ich möchte Eddie O’Hare sehen. Zuerst möchte ich mit Eduardo reden und dann mit Eddie.«
»Hör zu, ich rufe dich heute abend an«, schlug Hannah vor. »Vielleicht hast du später das Bedürfnis, dich auszusprechen. Ich rufe dich an.«
»Mir ist es lieber, ich rufe dich an«, meinte Ruth.
»Klar, so können wir es auch machen«, stimmte Hannah zu. »Du rufst mich an, oder ich rufe dich an.«
Hannah brauchte ein Taxi, um in die Stadt zu kommen. Zu den Taxis ging es in die eine Richtung, zu Allans Wagen in die andere. Als sie sich verabschiedeten, zerzauste der Wind die New York Times noch mehr. Ruth wollte die Zeitung nicht, aber Hannah drängte sie ihr auf.
»Du kannst den Nachruf später lesen«, sagte sie.
»Ich habe ihn schon gelesen«, entgegnete Ruth.
»Du solltest ihn noch mal lesen, wenn du ruhiger geworden bist«, empfahl ihr Hannah. »Er wird dich richtig wütend machen.«
»Ich bin schon ruhig. Ich bin schon wütend«, erklärte Ruth ihrer Freundin.
»Sie wird sich beruhigen. Und dann wird sie erst richtig wütend werden«, flüsterte Hannah Allan zu. »Passen Sie gut auf sie auf.«
»Das werde ich«, versprach Allan.
Ruth und Allan sahen noch, wie Hannah blitzschnell an der Warteschlange vorbei in ein Taxi sprang. Als sie in Allans Wagen saßen, küßte Allan sie endlich.
»Ist alles in Ordnung?« fragte er.
»Merkwürdigerweise ja«, antwortete Ruth.
Es war eigenartig, daß jegliches Gefühl für ihren Vater ausblieb; sie spürte nur, daß überhaupt kein Gefühl für ihn da war. In Gedanken war sie die ganze Zeit bei vermißten Personen gewesen und hatte nicht damit gerechnet, ihn dazuzählen zu müssen.
»Was deine Mutter betrifft …«, begann Allan geduldig. Er hatte Ruth über eine Stunde Zeit gelassen, ihre Gedanken zu ordnen; so lange waren sie schweigend dahingefahren. Er ist wirklich der richtige Mann für mich, dachte Ruth.
Allan hatte erst am späten Vormittag erfahren, daß Ruths Vater tot war. Er hätte Ruth in Amsterdam anrufen können, wo es später Nachmittag war; dann hätte sie die ganze Nacht und auf dem Heimflug Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Aber Allan hatte sich darauf verlassen, daß Ruth die New York Times nicht zu Gesicht bekommen würde, bevor sie am nächsten Morgen in New York landete. Und er hatte darauf vertraut, daß Ted Cole nicht so berühmt war, daß die Nachricht von seinem Tod bis nach Amsterdam drang.
»Eddie hat mir ein Buch gegeben, das meine Mutter geschrieben hat. Einen Roman«, berichtete Ruth. »Natürlich wußte er, von wem er ist, er hatte nur nicht den Mut, es mir zu sagen. Er meinte lediglich, es sei ›gute Flugzeuglektüre‹. Das kann man wohl behaupten!«
»Sehr ungewöhnlich«, fand Allan.
»Mir kommt allmählich nichts mehr ungewöhnlich vor«, entgegnete Ruth. Nach einer Pause sagte sie: »Ich möchte dich heiraten, Allan.« Und nach einer weiteren Pause fügte sie hinzu: »Nichts ist jetzt so wichtig, wie mit dir zu schlafen.«
»Es freut mich ungeheuer, das zu hören«, gab Allan zu. Er lächelte zum erstenmal, seit er sie vom Flughafen abgeholt hatte. Es kostete Ruth keine Mühe, sein Lächeln zu erwidern. Doch daran, daß der Tod ihres Vaters keinerlei Gefühle in ihr weckte, wie ihr vor einer Stunde aufgefallen war, hatte sich nichts geändert – recht eigenartig und unerwartet! Mit Eduardo, der ihren Vater tot aufgefunden hatte, empfand sie mehr Mitleid.
Nun stand nichts mehr zwischen Ruth und ihrem neuen Leben mit Allan. Es würde noch einen Gedenkgottesdienst für Ted geben müssen. Nichts Großartiges, und wahrscheinlich würden auch nicht viele Leute daran teilnehmen, dachte Ruth. Zwischen ihr und ihrem neuen Leben mit Allan stand im Grunde nur die Notwendigkeit, von Eduardo genau zu erfahren, was geschehen war. Als sie daran dachte, begriff Ruth, wie sehr ihr Vater sie geliebt hatte. War sie die einzige Frau, die Ted Cole dazu bringen konnte, Reue zu empfinden?
Eins zu eins
Eduardo Gomez war ein guter Katholik. Er war nicht über jeden Aberglauben erhaben, hatte jedoch stets darauf geachtet, daß sich seine Schicksalsgläubigkeit in den strengen Grenzen seines Glaubens hielt. Zum Glück war er nie mit dem Calvinismus in Berührung gekommen, denn er hätte einen sehr bereitwilligen Konvertiten abgegeben. Bislang hatte sein
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