Witwe für ein Jahr (German Edition)
fahren«, gestand er.
»Fahr nur zu«, sagte Marion. »Ich sage dir, wo du abbiegen mußt.«
Eine Onaniermaschine
Im ersten Monat dieses Sommers sahen Ruth und der Schriftstellerassistent einander kaum. In der Küche des Coleschen Hauses trafen sie sich vor allem deshalb nicht, weil Eddie keine seiner Mahlzeiten dort einnahm. Und obwohl beide im selben Haus schliefen, hatten sie extrem unterschiedliche Schlafenszeiten, und ihre Schlafzimmer lagen weit auseinander. Am Morgen hatte Ruth längst mit ihrer Mutter oder ihrem Vater gefrühstückt, bevor Eddie aufstand. Bis dahin war auch schon das erste der drei Kindermädchen eingetroffen, und Marion hatte Ruth und ihren Babysitter an den Strand gefahren. War das Wetter für einen Strandbesuch ungeeignet, spielten Ruth und das Kindermädchen im Kinderzimmer oder in dem so gut wie unbenutzten Wohnzimmer des großen Hauses.
Daß das Haus so riesig war, verlieh ihm in Eddies Augen von vornherein etwas Exotisches; er war in den ersten Jahren in einem kleinen Lehrerapartment in einem Schülerwohnheim der Exeter Academy aufgewachsen, später in einem Lehrerhaus auf dem Schulgelände, das kaum größer war. Doch weit ungewohnter und von sehr viel größerer Tragweite als die Dimensionen des Coleschen Hauses war für Eddie die Tatsache, daß die Coles getrennt lebten und folglich nie gleichzeitig im selben Haus übernachteten. Auch für Ruths Leben bedeutete die Trennung ihrer Eltern eine ungewohnte und rätselhafte Veränderung; sie hatte nicht weniger Schwierigkeiten, sich an die seltsame Situation zu gewöhnen, als Eddie.
Ungeachtet dessen, was diese Trennung für Ruths und Eddies Zukunft bedeutete, war der erste Monat dieses Sommers vor allem verwirrend. An den Tagen, an denen Ted in dem gemieteten Haus übernachtete, mußte Eddie ihn am nächsten Morgen mit dem Wagen abholen; Ted war gern spätestens um zehn in seiner Werkstatt, so daß Eddie genug Zeit blieb, um auf dem Hinweg beim Gemischtwarenladen und beim Postamt in Sagaponack vorbeizufahren. Er holte die Post ab und besorgte Kaffee und Muffins für sie beide. An den Tagen, an denen Marion in dem gemieteten Haus übernachtete, holte Eddie am Morgen ebenfalls die Post ab, besorgte aber nur etwas zum Frühstücken für sich selbst, da Ted mit Ruth schon eher gefrühstückt hatte. Und Marion konnte selbst fahren. Wenn Eddie keine Botengänge zu erledigen hatte, was eher selten vorkam, verbrachte er einen Großteil des Tages in dem leeren Ausweichquartier.
Seine Arbeit, die ihm nicht viel abverlangte, reichte von der Beantwortung von Teds Fanpost bis zum Abtippen der handschriftlichen Überarbeitungen der extrem kurzen Geschichte Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen . Mindestens zweimal pro Woche fügte Ted einen Satz hinzu oder strich einen weg; auch Kommas wurden hinzugefügt und gestrichen, Strichpunkte wurden durch Gedankenstriche ersetzt und diese dann wieder durch Strichpunkte. (Nach Eddies Ansicht machte Ted derzeit eine Interpunktionskrise durch.) Im günstigsten Fall schrieb er auf der Maschine den Rohentwurf zu einem völlig neuen Absatz – er tippte grauenhaft –, den er dann sofort schlampig mit Bleistift korrigierte. Im schlimmsten Fall wurde dieser Absatz bis zum nächsten Abend ersatzlos gestrichen.
Teds persönliche Post durfte Eddie weder öffnen noch lesen; bei den meisten Briefen, die er abtippte, handelte es sich um Teds Antworten auf Kinderbriefe. Den Müttern schrieb er selbst. Eddie bekam weder die Briefe, die Ted von diesen Müttern erhielt, noch Teds Antworten jemals zu Gesicht. (Wenn Ruth nachts – und nur dann – die Schreibmaschine ihres Vaters hörte, war das, was sie hörte, öfter ein Brief an eine junge Mutter als ein im Entstehen begriffenes Kinderbuch.)
Die Arrangements, die Ehepaare treffen, um in der Zeit bis zur Scheidung eine zivilisierte äußere Form zu wahren, sind oft sehr ausgefeilt, wenn es beiden in erster Linie darum geht, ihr Kind nach Möglichkeit zu schonen. Abgesehen davon, daß die vierjährige Ruth mitbekam, wie ihre Mutter von einem Sechzehnjährigen von hinten bestiegen wurde, hätten ihre Eltern sich nie zornig oder haßerfüllt angebrüllt, und keiner von beiden hätte je schlecht über den anderen geredet. Was diesen Aspekt ihrer gescheiterten Ehe betraf, waren Ted und Marion Musterbeispiele für anständiges Benehmen. Daß die Arrangements bezüglich des gemieteten Hauses genauso schäbig waren wie das Haus selbst, tut nichts
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