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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gewünscht hätten.
    Sie erklärte sich zu einer Lesung im 92nd Street Y bereit, wo sie seit Eddie O’Hares Marathoneinführung 1990 nicht mehr gelesen hatte, weigerte sich aber strikt, Interviews in den Staaten zu geben – mit der Begründung, daß sie auf dem Weg nach Europa nur eine Nacht in New York verbringen werde und in ihrem Haus in Vermont grundsätzlich keine Interviews gebe. (Seit dem ersten September stand das Haus in Sagaponack zum Verkauf.)
    Hannah behauptete, Ruth sei verrückt, sich in Vermont so zu isolieren; ihrer Ansicht nach hätte Ruth lieber das Haus dort verkaufen sollen. Aber Allan und Ruth waren sich einig gewesen, daß Graham in Vermont aufwachsen sollte.
    Außerdem war Conchita Gomez zu alt, um als einziges Kindermädchen für Graham verantwortlich zu sein. Und Eduardo war zu alt, um sich weiterhin um Haus und Garten zu kümmern. In Vermont gab es ganz in der Nähe Babysitter, denn Kevin Merton hatte drei Töchter im passenden Alter. Eine von ihnen, Amanda, ging auf die High-School und wurde gelegentlich beurlaubt, um reisen zu können. (Die Schulleitung hatte eine Promotion-Tour mit Ruth Cole als Bildungsreise genehmigt; und so nahm Ruth Graham und Amanda Merton mit nach New York und Europa.)
    Nicht alle ihre europäischen Verleger billigten Ruths Vorstellungen vom Ablauf dieser Promotion-Tour. Aber fairerweise hatte Ruth sie vorgewarnt: Sie war noch in Trauer, und sie würde nirgends ohne ihren vierjährigen Sohn hinfahren; außerdem durfte sein Kindermädchen nicht mehr als zwei Wochen Schule versäumen.
    Die geplante Reise sollte für sie und Graham möglichst wenig anstrengend sein. Ruth flog mit der Concorde nach London und dann von Paris aus zurück, wieder mit der Concorde. Von London würde sie mit Graham und Amanda über Amsterdam nach Paris fahren; für sie stand fest, daß sie Amsterdam unmöglich auslassen konnte. Die Tatsache, daß der Roman zum Teil dort spielte – man denke nur an die demütigende Szene im Rotlichtbezirk –, machte ihn für die Holländer besonders interessant; außerdem mochte Ruth von ihren europäischen Verlegern Maarten am liebsten.
    Es lag nicht an der Stadt, daß Ruth davor graute, nach Amsterdam zu fahren. Bestimmt konnte sie für ihren neuen Roman auch Werbung machen, ohne den Rotlichtbezirk aufzusuchen. Freilich würden die einfallslosen Journalisten, die sie interviewten, ausnahmslos darauf bestehen, daß sie zum Schauplatz der berüchtigtsten Szene im ganzen Roman zurückkehrte – und die Fotografen erst recht –, aber Ruth hatte sich schon früher erfolgreich gegen den Mangel an Originalität bei Journalisten und Fotografen zur Wehr gesetzt.
    Vielleicht war es eine Form von Buße, daß sie nach Amsterdam zurückkehren mußte, überlegte die Romanautorin – denn war ihre Angst nicht eine Art Buße? Würde sie in Amsterdam nicht jede Sekunde Angst haben, weil die Stadt sie wohl oder übel an die Ewigkeit erinnerte, die sie sich in Rooies Wandschrank versteckt gehalten hatte? Würde das Keuchen des Maulwurfmanns sie nicht bis in den Schlaf verfolgen? Sofern sie überhaupt schlafen konnte …
    Abgesehen von Amsterdam war der einzige Teil der Promotion-Tour, vor dem Ruth graute, der eine Abend in New York, und davor graute ihr auch nur, weil Eddie im 92nd Street Y wieder einmal die einführenden Worte sprechen sollte.
    Unklugerweise hatte sie sich im Stanhope einquartiert. Seit Allans Tod waren sie und Graham nicht mehr dort gewesen, aber Graham erinnerte sich besser an die Umgebung, in der er seinen Vater zum letztenmal gesehen hatte, als Ruth gedacht hatte. Sie wohnten nicht in derselben Suite, aber die Aufteilung der Räume und die Inneneinrichtung waren verblüffend ähnlich.
    »Daddy hat auf dieser Seite vom Bett geschlafen, Mummy auf der anderen«, erklärte Graham seiner Babysitterin. »Das Fenster war offen. Daddy hat es offengelassen, und ich habe gefroren. Ich bin aus dem Bett geklettert …« Hier hielt Graham inne. Wo war sein Bett überhaupt? Da Allan nicht mehr lebte, hatte Ruth nicht um ein Zusatzbett für Graham gebeten; in ihrem Kingsize-Bett war mehr als genug Platz für sie und ihren kleinen Sohn. »Wo ist mein Bett?« fragte er jetzt.
    »Du kannst bei mir schlafen, Liebchen«, sagte Ruth.
    »Oder du kannst in meinem Zimmer schlafen, bei mir«, bot Amanda zuvorkommend an – Hauptsache, es gelang, Graham vom Thema Tod seines Vaters abzubringen.
    »Okay. Gut«, sagte Graham in einem Ton, dem man anhörte, daß etwas nicht

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