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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zufrieden? Kommt, Kinder, laßt uns die Puppen wegsperren und die Bude schließen, denn unser Spiel ist aus.«
    Anschließend kümmerte sich Eddie um das kleine Haus seiner Eltern; sie hatten es gekauft, als Minty sich zur Ruhe setzte und ihm und Dot (zum erstenmal) keine Lehrerwohnung mehr zur Verfügung stand. Das unscheinbare Häuschen lag in einem Teil der Stadt, den Eddie nicht kannte, in einer beängstigend schmalen, charakterlosen Straße, die in jeder beliebigen Kleinstadt hätte sein können. Bestimmt hatten sich seine Eltern dort einsam gefühlt, nachdem sie die beeindruckende Architektur und das weitläufige Gelände der alten Schule gewohnt waren. Der Rasen ihrer unmittelbaren Nachbarn war ungemäht und mit liegengelassenem Kinderspielzeug übersät. Im Boden steckte ein riesiger, verrosteter Korkenzieher, an dem früher einmal ein Hund angekettet war. Den Hund hatte Eddie nie gesehen.
    Es erschien ihm grausam, daß seine Eltern ihren Lebensabend in einer solchen Umgebung hatten verbringen müssen – ihre Nachbarn waren ganz offensichtlich keine Exonianer. (Vielmehr hatte der anstoßerregend verkommene Rasen Minty O’Hare eher vermuten lassen, daß diese Leute genau das verkörperten, was ihm als altem Englischlehrer der schlimmste Greuel war: eine unterdurchschnittliche Schulbildung.)
    Als Eddie die Bücher seines Vaters in Kisten packte – das Haus hatte er bereits zum Verkauf ausgeschrieben –, entdeckte er seine eigenen, unsignierten Romane. Er hatte es versäumt, seinen Eltern eine Widmung hineinzuschreiben! Alle fünf Bücher standen nebeneinander in einem Regalfach; es gab Eddie einen Stich, als er feststellte, daß sein Vater nicht eine einzige Passage unterstrichen hatte. Und neben seinem Lebenswerk, im selben Fach, entdeckte Eddie das O’Haresche Familienexemplar von Ted Coles Die Maus, die in der Wand krabbelt , das der Muschellasterfahrer nahezu perfekt signiert hatte.
    Kein Wunder, daß Eddie fix und fertig war, als er zu Ruths Lesung nach New York kam. Daß sie ihm Marions Adresse gegeben hatte, stellte eine zusätzliche Belastung für ihn dar. Er hatte sich zwangsläufig endlich bei Marion gemeldet und ihr seine fünf Romane geschickt, die er seinen Eltern damals ohne Widmung gegeben hatte; jetzt schrieb er ihr eine Widmung hinein: »Für Marion – alles Liebe, Eddie.« Abgesehen von dem kleinen, grünen Formular, das er für den kanadischen Zoll ausgefüllt hatte, fügte er dem Päckchen noch ein paar Zeilen bei.
    »Liebe Marion«, schrieb Eddie, als hätte er ihr sein ganzes Leben lang geschrieben, »ich weiß nicht, ob du meine Bücher gelesen hast, aber wie du siehst, haben sich meine Gedanken nie weit von dir entfernt.« Unter den gegebenen Umständen – nämlich daß Eddie sich einbildete, in Ruth verliebt zu sein –, brachte er nicht den Mut auf, mehr zu sagen, aber immerhin war es mehr, als er in siebenunddreißig Jahren gesagt hatte.
    Bei seiner Ankunft im Künstlerzimmer des 92nd Street Y war er so mitgenommen von dem Verlust seiner Eltern und seinem kläglichen Versuch, mit Marion Kontakt aufzunehmen, daß er befürchtete, kein Wort herauszubringen. Schon bereute er es, Marion seine Bücher geschickt zu haben; im Grunde hätte es völlig genügt, ihr nur die Titel zu nennen. (Selbst die empfand er inzwischen als recht unglücklich.)
Ferienjob
Kaffee und Dounuts
Abschied von Long Island
Sechzigmal
Eine schwierige Frau
    Als Eddie O’Hare endlich ans Mikrophon auf der Bühne trat und das Wort an die gerammelt volle Kaufman Concert Hall richtete, deutete er das ehrfürchtige Verstummen des Publikums äußerst scharfsinnig. Die Leute verehrten Ruth Cole, und alle waren sich einig, daß dies ihr bestes Buch war. Außerdem wußten die Zuhörer, daß die Autorin zum erstenmal seit dem Tod ihres Mannes wieder in der Öffentlichkeit auftrat. Und noch etwas erkannte Eddie ganz richtig: die Besorgnis, die im Verstummen der gewaltigen Menschenmenge mitschwang, denn im Publikum saßen viele Leute, die wußten, wie ausufernd Eddie werden konnte.
    Und deshalb sagte Eddie: »Ruth Cole braucht keine Einführung.«
    Offenbar hatte er es ernst gemeint, denn er verließ unverzüglich die Bühne und nahm den für ihn reservierten Platz im Zuschauerraum ein, neben Hannah. Während Ruth las, starrteer die ganze Zeit unverwandt geradeaus, vier oder fünf Meter links am Podium vorbei, als könnte er Ruths Anblick überhaupt nur ertragen, wenn sie sich am Rand seines Gesichtsfelds befand.
    Und

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