Witwe für ein Jahr (German Edition)
überlegten sie gemeinsam, welchen besonderen Geruch jedes Tier hat. Doch obwohl Ruths Kopf auf Harrys Brust lag, wachte sie auf, als es noch dunkel war; sie wollte wieder in ihrem eigenen Bett liegen, ehe Graham in Amandas Zimmer aufwachte.
In Paris war es von Harrys Hotel in der Rue de Saint-Simon zu Fuß nicht weit zum Lutetia am Boulevard Raspail, wo Ruth offiziell wohnte. Im Hof des Duc de Saint-Simon drehte jeden Morgen in aller Früh jemand den Gartenschlauch an; das Geräusch des spritzenden Wassers weckte sie und Harry auf. Sie zogen sich in aller Ruhe an, und dann begleitete Harry sie zu ihrem Hotel.
Während Ruth in der Halle des Lutetia ununterbrochen interviewt wurde, ging Harry mit Graham auf den Spielplatz im Jardin du Luxembourg, so daß Amanda die Vormittage frei hatte, um einzukaufen und die Stadt auf eigene Faust zu erkunden; um in den Louvre zu gehen, was sie zweimal tat, in die Tuilerien, Notre-Dame oder auf den Eiffelturm. Schließlich war die Tatsache, daß Amanda zwei Wochen Schule versäumte, damit gerechtfertigt worden, daß es ihrer Bildung zugute komme und lehrreich sei, Ruth Cole auf einer Promotion-Tour zu begleiten. (Die Gedanken, die sich Amanda darüber machte, daß Ruth die ganze Nacht wegblieb, waren für das Mädchen hoffentlich auch »lehrreich«.)
Ruth fand die französischen Journalisten, die sie interviewten, sehr angenehm, einmal weil sie alle ohne Ausnahme ihre Bücher gelesen hatten, zum anderen, weil sie es nicht sonderbar (oder unnatürlich oder bizarr) fanden, daß Ruth Coles Hauptfigur eine Frau war, die sich dazu hatte überreden lassen, eine Prostituierte mit einem Freier zu beobachten; und sie hatte das Gefühl, daß Graham noch nie in besseren Händen gewesen war als jetzt bei Harry. (Nur über eines beschwerte sich Graham: Wenn Harry Polizist war, wo hatte er dann seine Pistole?)
Es war ein warmer, feuchter Abend, als Ruth und Harry an der roten Markise und der weißen Steinfassade des Hoˆtel du Quai Voltaire vorbeigingen. In der winzigen Café-Bar war kein Mensch; und auf der Tafel neben der schmiedeeisernen Lampe, auf der die wenigen berühmten Gäste des Hotels aufgelistet waren, war Ted Coles Name nicht aufgeführt.
»Was willst du jetzt machen, nachdem du pensioniert bist?« fragte Ruth den ehemaligen Sergeant Hoekstra.
»Ich würde gern eine reiche Frau heiraten«, sagte Harry.
»Bin ich reich genug?« fragte Ruth. »Ist das nicht besser, als mit einer Prostituierten in Paris zu sein?«
Eddie und Hannah können sich nicht einigen
Als sein KLM -Flug endlich in Boston landete, freute sich der ehemalige Sergeant Hoekstra darauf, den Ozean ein Stück hinter sich zu lassen. Er hatte sein ganzes Leben lang in einem Land gelebt, das zur Hälfte unterhalb des Meeresspiegels liegt, und empfand die Aussicht auf die Berge von Vermont als willkommene Abwechslung.
Erst vor einer Woche hatten Harry und Ruth sich in Paris getrennt. Als Bestsellerautorin konnte sich Ruth das runde Dutzend transatlantische Telefongespräche mit Harry leisten; doch in Anbetracht ihrer ausführlichen Unterhaltungen war es schon jetzt eine teure Beziehung, selbst für Ruth. Für Harry, der höchstens halb so oft in Vermont anrief, hätte eine fernmündliche Beziehung, die auf so weitschweifigen Gesprächen beruhte, bald den Bankrott bedeutet. Und deshalb machte er, schon bevor er in Boston eintraf, Ruth einen Heiratsantrag – auf seine unspektakuläre Art. Es war sein erster Heiratsantrag; er hatte keinerlei Erfahrung damit.
»Ich glaube, wir sollten heiraten, bevor ich völlig pleite bin«, hatte er erklärt.
»Okay, wenn du wirklich meinst«, hatte Ruth geantwortet. »Aber deine Wohnung solltest du nicht verkaufen. Für den Fall, daß es nicht funktioniert.«
Harry fand den Gedanken vernünftig. Er konnte seine Wohnung jederzeit an einen anderen Polizisten vermieten; vor allem aus der Sicht des abwesenden Vermieters hielt der ehemalige Sergeant Hoekstra Polizisten für zuverlässiger als andere Mieter.
In Boston mußte Harry durch den amerikanischen Zoll; er hatte Ruth eine Woche lang nicht gesehen, und bei diesem Ritual zur Einreise in ein fremdes Land beschlich ihn der erste Anflug von Zweifel. Nicht einmal junge Verliebte heirateten im ersten Taumel, nachdem sie nicht mehr als vier oder fünf Tage lang wild drauflosgevögelt und dann eine Woche lang Sehnsucht nacheinander gehabt hatten! Und wenn ihm schon Zweifel kamen, wie mochte es Ruth dann ergehen?
Dann wurde sein Paß
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