Witwe für ein Jahr (German Edition)
sie ihre unbändige Wut völlig irrational gegen ihren tapferen, wehrlosen Gärtner. Sie hatte den Lincoln mit laufendem Motor so in die Einfahrt gestellt, daß die vordere Hälfte der schwarzen, schnittigen Kühlerhaube und der silberblitzende Grill auf die Gin Lane hinausragten. Startbereit saß Mrs. Vaughn fast eine halbe Stunde lang (bis ihr das Benzin ausging) hinter dem Lenkrad und wartete darauf, daß der schwarzweiße 57er Chevy aus der Wyndanch Lane oder der South Main Street in die Gin Lane einbog. Sie nahm an, daß Ted sich nicht weit von ihrem Haus entfernen würde, denn wie er ging sie davon aus, daß Marions Liebhaber – für Mrs. Vaughn war Eddie »der hübsche Junge« – nach wie vor Teds Chauffeur war. Daher drehte sie das Autoradio auf volle Lautstärke und wartete.
Im schwarzen Lincoln wummerte die Musik; wegen der enormen Lautstärke und der heftig vibrierenden Bässe, die aus den Autolautsprechern drangen, wäre es Mrs. Vaughn um ein Haar verborgen geblieben, daß das Benzin ausgegangen war. Hätte der Wagen in dem Moment nicht so heftig gebebt, hätte Mrs. Vaughn womöglich noch so lange hinter dem Steuer gewartet, bis ihr Sohn vom nachmittäglichen Tennisunterricht nach Hause gebracht wurde.
Vor allem aber bewahrte die Tatsache, daß dem Lincoln schließlich das Benzin ausging, Mrs. Vaughns Gärtner möglicherweise vor einem grausamen Tod. Der arme Mann, dem man die Leiter unter den Füßen weggerissen hatte, hing während der ganzen Zeit in der unbarmherzigen Ligusterhecke, wo die Auspuffgase des Lincoln erst dazu führten, daß ihm schlecht wurde, und ihn dann beinahe umbrachten. Halb bewußtlos registrierte er, daß er dem Tod nahe war, als plötzlich der Motor abstarb und eine frische Meeresbrise ihn wiederbelebte.
Gleich nach dem Malheur mit der Leiter hatte er versucht, von der hohen Hecke herunterzuklettern, war aber mit der Ferse seines linken Fußes in einer in sich verdrehten Astgabel hängengeblieben. Bei dem Versuch, seinen Stiefel zu befreien, hatte er das Gleichgewicht verloren und war kopfunter in den dichten Liguster gefallen, wobei sich seine Ferse noch fester in der hartnäckigen Hecke verkeilte. Außerdem hatte er sich beim Fallen den Knöchel schmerzhaft verdreht, und als er sich hochzuschwingen versuchte, um den Schnürsenkel seines Stiefels zu lösen, zerrte er sich einen Bauchmuskel.
Eduardo Gomez, ein aus Südamerika stammender kleiner Mann mit entsprechend kleinem Schmerbauch, war es nicht gewohnt, kopfunter in einer Hecke hängend Sit-ups zu machen. Seine Stiefel reichten bis über die Knöchel, und obwohl er sich mit Mühe lange genug oben gehalten hatte, um die Schnürsenkel aufzumachen, konnte er nicht lange genug in dieser schmerzhaften Stellung verharren, um sie auch zu lockern. Er schaffte es nicht, seinen Fuß aus dem Stiefel zu befreien.
Mrs. Vaughn konnte Eduardos Hilfeschreie über die aus dem Autoradio dröhnende Musik und die wummernden Bässe hinweg nicht hören. Der unglückselige, festhängende Gärtner, der mitbekam, wie sich die aus dem Lincoln aufsteigenden Auspuffgase in der dichten, scheinbar luftlosen Hecke stauten, war überzeugt, daß sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Er würde eines anderen Mannes Lust und eines anderen Mannes »verschmähter Geliebter« zum Opfer fallen. Die Ironie der Situation, nämlich daß ihn die zerfetzten pornographischen Zeichnungen von seiner Arbeitgeberin in diese mißliche Lage gebracht hatten, entging dem dem Tode nahen Gärtner durchaus nicht. Wäre das Benzin nicht ausgegangen, wäre der Gärtner womöglich Southamptons erstes Opfer eines tödlichen Unfalls geworden, der auf das Konto der Pornographie ging – allerdings bestimmt nicht das letzte, dachte Eduardo, während er, in Kohlenmonoxydschwaden eingehüllt, wegdriftete. Und durch sein vergiftetes Hirn zog der Gedanke, daß eigentlich Ted Cole und nicht ein unschuldiger Gärtner es verdient hatte, auf diese Weise zu sterben.
In Mrs. Vaughns Augen war der Gärtner keineswegs unschuldig. Sie hatte gehört, wie er Ted »Laufen Sie!« nachgeschrien hatte. Mit dieser Warnung hatte er sie verraten! Hätte der elende Kerl den Mund gehalten, hätte Ted keine wertvollen Sekunden gewonnen. So aber hatte er die Beine in die Hand genommen, bevor der schwarze Lincoln auf die Gin Lane hinausgeschossen war. Mrs. Vaughn war überzeugt, daß sie ihn ebenso plattgefahren hätte wie das Straßenschild an der Ecke South Main Street. Nur wegen ihres treulosen
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