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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Eduardos Phantasie dar. Hinkend wirbelte der Gärtner durch den Vorgarten und hielt dabei den offenen Sack über seinen Kopf. Er glich einem Drachen, der nicht fliegen wollte, doch dafür flogen die unzähligen pornographischen Schnipsel um so besser. Sie flogen in die Ligusterhecke, aus der sie der heldenhafte Gärtner zuvor herausgezupft hatte, und zum Teil sogar darüber hinweg. Wie um Eduardo Gomez für seinen Mut zu belohnen, blies vom Meer her eine kräftige Brise und wehte Teilansichten von Mrs. Vaughns Brüsten und ihrer Vagina in beide Richtungen durch die Gin Lane.
    Einige Zeit später ging bei der Polizei von Southampton die Meldung ein, zwei Jungen auf Fahrrädern seien in den fragwürdigen Genuß eines Blicks auf gewisse anatomische Details gekommen, und zwar ein ganzes Stück weit entfernt in der First Neck Lane – ein Beweis für die Kraft des Windes, der besagte Nahansicht von Mrs. Vaughns Brustwarze und dem unregelmäßig sich ausdehnenden Brustwarzenhof über den Agawam-See geweht hatte. (Die Jungen, bei denen es sich um Brüder handelte, brachten den pornographischen Papierfetzen nach Hause, wo ihre Eltern die obszöne Darstellung entdeckten und die Polizei verständigten.)
    Der Agawam-See, der eigentlich nur ein Tümpel ist, trennt die Gin Lane von der First Neck Lane, wo just in dem Augenblick, als Eduardo die Reste von Ted Coles Zeichnungen davonfliegen ließ, der Künstler auf die Verführung eines leicht übergewichtigen achtzehnjährigen Mädchens hinarbeitete. Glorie hatte Ted mit zu sich nach Hause genommen, um ihn ihrer Mutter vorzustellen, vor allem aber, weil sie kein eigenes Auto hatte und die Erlaubnis der Mutter brauchte, um sich das elterliche Auto auszuleihen.
    Von der Buchhandlung bis zu Glories Haus in der First Neck Lane war es nicht weit, nur leider war Teds subtiles Werben um das junge Mädchen wiederholt durch beleidigende Fragen von Glories mitleiderregender, birnenförmiger Freundin unterbrochen worden. Effie war kein annähernd so großer Fan von der Tür im Boden wie Glorie; das unsäglich unattraktive Mädchen hatte ihre Seminararbeit nicht über Ted Coles atavistische Angstsymbole geschrieben. Obwohl sie ausgesprochen häßlich war, hatte sie ungleich weniger Flausen im Kopf als Glorie.
    Und sie hatte auch weniger Flausen im Kopf als Ted. Effie war sogar ausgesprochen scharfsichtig: Schon auf dem kurzen Weg entwickelte sie eine gesunde Abneigung gegen den berühmten Autor; klug, wie sie war, durchschaute sie Teds Verführungsversuche. Glorie, sofern sie überhaupt etwas durchschaute, leistete wenig Widerstand. Daß Ted ein Interesse (sexueller Natur) an Glories Mutter fand, überraschte ihn selbst. Während Glorie für seinen Geschmack etwas zu jung und unerfahren war – und auch etwas zu drall –, war ihre Mutter älter als Marion und zudem der Typ Frau, den Ted für gewöhnlich nicht weiter beachtete.
    Mrs. Mountsier war unnatürlich dünn, die Folge einer Eßstörung, verursacht durch den kürzlichen, völlig unerwarteten Tod ihres Mannes. Sie hatte ihren Mann nicht nur eindeutig sehr geliebt, sie hatte auch – und das war selbst für Ted offensichtlich –, die verschiedenen Stadien der Trauer noch nicht durchlaufen. Mit einem Wort: Sie war keine Frau, die sich von jedem x-beliebigen verführen lassen würde; aber Ted Cole war kein x-beliebiger, und er konnte nicht verhehlen, daß er sich wider Erwarten von ihr angezogen fühlte.
    Glorie mußte ihre Veranlagung für üppige Formen von einer Großmutter oder fernen Verwandten geerbt haben. Denn Mrs. Mountsier war eine klassische, wenn auch gespenstische Schönheit, die Marions unnachahmlicher Gestalt sehr nahe kam. Hatte Marions fortwährender Kummer dazu geführt, daß Ted sich von ihr abwandte, so machte Mrs. Mountsiers majestätische Traurigkeit ihn an. Zu ihrer Tochter fühlte er sich deshalb nicht weniger hingezogen – auf einmal wollte er alle beide! Mag sein, daß die meisten Männer in einer solchen Situation gedacht hätten: So ein Dilemma! Ted Cole jedoch dachte nur an die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben konnten. So eine Chance! dachte er, als er Mrs. Mountsier gestattete, ihm ein Sandwich zu machen – schließlich war es schon fast Mittag –, und zugleich Glories Drängen nachgab und ihr erlaubte, seine nassen Jeans und die durchgeweichten Schuhe in den Trockner zu tun.
    »In fünfzehn bis zwanzig Minuten sind sie trocken«, versprach Glorie. (Die Schuhe würden mindestens eine halbe Stunde

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