Witwe für ein Jahr (German Edition)
brauchen, aber wozu die Eile?)
Während Ted sein Sandwich aß, trug er einen Bademantel, der dem verstorbenen Mr. Mountsier gehört hatte. Mrs. Mountsier hatte Ted das Badezimmer gezeigt, wo er seine nassen Sachen ausziehen konnte, und ihm, auf ungeheuer reizvolle Art tief betrübt, den Bademantel ihres verstorbenen Gatten gereicht.
Ted hatte noch nie versucht, eine Witwe zu verführen, ganz zu schweigen von Mutter und Tochter. Da er den Sommer damit zugebracht hatte, Mrs. Vaughn zu zeichnen, hatte er die Illustrationen zu der noch unvollendeten Geschichte Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen seit geraumer Zeit vernachlässigt; er hatte sich noch kaum Gedanken darüber gemacht, wie sie aussehen könnten. Und nun bot sich ihm hier, in einem behaglichen Haus an der First Neck Lane, ein ungewöhnlich vielversprechendes Mutter-und-Tochter-Motiv; für ihn stand fest, daß er es einfach versuchen mußte.
Mrs. Mountsier aß nichts. Ihr schmales Gesicht, das im Mittagslicht zart und zerbrechlich wirkte, ließ darauf schließen, daß sie bestenfalls in unregelmäßigen Abständen Appetit hatte oder daß es ihr Schwierigkeiten bereitete, Nahrung bei sich zu behalten. Die dunklen Ringe unter ihren Augen hatte sie zart überpudert; ähnlich wie Marion konnte sie nur dann kurze Zeit schlafen, wenn sie völlig erschöpft war. Ted bemerkte, daß sie mit dem Daumen ihrer linken Hand ständig am Ehering herumspielte, obwohl ihr das offenbar gar nicht bewußt war.
Als Glorie sah, was ihre Mutter mit ihrem Ehering anstellte, ergriff sie ihre Hand und drückte sie. Der Blick, mit dem Mrs. Mountsier ihre Tochter ansah, war dankbar und zugleich entschuldigend; die liebevolle Zuneigung zwischen den beiden war spürbar wie ein warmer Sommerwind. (Für die ersten Zeichnungen würde Ted sie so setzen, daß die Tochter die Hand der Mutter hielt.)
»Wissen Sie, das ist wirklich ein Zufall«, begann er, »aber ich bin auf der Suche nach zwei geeigneten Modellen für ein Mutter-Tochter-Porträt, das mir für mein nächstes Buch vorschwebt.«
»Ist es wieder ein Kinderbuch?« fragte Mrs. Mountsier.
»Vom Genre her schon«, antwortete Ted, »aber ich glaube, daß im Grunde keines meiner Bücher wirklich für Kinder ist. Da sind zuerst einmal die Mütter, die diese Bücher kaufen, und meist sind sie auch die ersten, die sie vorlesen. Die Kinder hören sie, bevor sie sie selbst lesen können. Und wenn sie dann erwachsen sind, kehren sie oft zu meinen Büchern zurück und lesen sie noch einmal.«
»Genauso war es bei mir!« sagte Glorie. Effie, die schmollend dabeisaß, verdrehte die Augen.
Bis auf Effie waren alle sehr zufrieden. Mrs. Mountsier hatte die Bestätigung erhalten, daß die Mütter an erster Stelle kamen. Glorie war dazu beglückwünscht worden, kein Kind mehr zu sein; der berühmte Autor hatte zur Kenntnis genommen, daß sie nunmehr erwachsen war.
»An welche Art von Zeichnungen hatten Sie denn gedacht?« wollte Mrs. Mountsier wissen.
»Also, erst würde ich gern Sie und Ihre Tochter zusammen zeichnen«, erklärte Ted. »Denn wenn ich dann jede von Ihnen einzeln zeichne, ist die fehlende Person sozusagen … indirekt präsent.«
»Toll! Hast du Lust, Mam?« fragte Glorie. (Effie verdrehte wieder die Augen, aber Ted schenkte unattraktiven Menschen nie sonderlich viel Beachtung.)
»Ich weiß nicht recht. Wie lange würde es denn dauern?« fragte Mrs. Mountsier. »Und wen von uns beiden würden Sie zuerst zeichnen wollen? Ich meine, einzeln. Ich meine, nachdem Sie uns zusammen gezeichnet haben.« (Daß die Witwe ein Wrack war, machte sie in Teds Augen noch attraktiver.)
»Wann fängt denn das College wieder an?« fragte er Glorie.
»So um den fünften September«, sagte Glorie.
»Am dritten September«, korrigierte Effie. »Und das Labour-Day-Wochenende wolltest du bei uns in Maine verbringen, bei mir«, fügte sie hinzu.
»Dann sollte ich Glorie zuerst zeichnen«, erklärte Ted Mrs. Mountsier. »Erst Sie beide zusammen. Dann Glorie allein. Und wenn Glorie wieder im College ist, Sie allein.«
»Ach, ich weiß nicht recht«, meinte Mrs. Mountsier.
»Komm schon, Mam! Das macht sicher Spaß!« sagte Glorie.
»Na ja.« Es war Teds berühmtes, ewiges »Na ja«.
»Na ja was ?« fragte Effie barsch.
»Ich meine, Sie brauchen sich ja nicht heute zu entscheiden«, sagte Ted zu Mrs. Mountsier. »Denken Sie in Ruhe darüber nach«, sagte er zu Glorie. Er konnte ihr ansehen, worüber sie schon jetzt
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