Witwe für ein Jahr (German Edition)
vielleicht war der Sand auch zu grobkörnig. Beim Spielen im seichten Wasser wurde das bräunlichgelbe Desinfektionsmittel vollkommen weggewaschen, so daß die Narbe jetzt als weißer Strich auf Ruths Finger leuchtete. Erst als sie mittags in ein Lokal gingen, konnte Eddie ihr zeigen, was ein Fingerabdruck ist.
Als Ruths überbackener Käsesandwich und ihre Pommes frites kamen, spritzte Eddie auf den Teller einen Klecks Ketchup, der sogleich verlief. Er tauchte Ruths rechten Zeigefinger hinein und drückte ihn behutsam auf eine Papierserviette. Daneben machte er einen zweiten Fingerabdruck, diesmal von Ruths linkem Zeigefinger. Dann ließ er sie die Serviette durch ihr Wasserglas betrachten, durch das die Fingerabdrücke so vergrößert wurden, daß Ruth die ungleichen Spiralen sehen konnte. Und da war sie, so wie sie für immer bleiben sollte: die vollkommen senkrechte Linie auf der Kuppe ihres rechten Zeigefingers; durch das Glas betrachtet, war sie etwa doppelt so groß wie in Wirklichkeit.
»Das sind deine Fingerabdrücke, und kein Mensch wird jemals die gleichen Fingerabdrücke haben wie du«, erklärte ihr Eddie.
»Und meine Narbe wird immer dableiben?« fragte Ruth noch einmal.
»Deine Narbe wird immer ein Teil von dir sein«, versprach Eddie.
Nach dem Mittagessen in Bridgehampton wollte Ruth die Serviette mit ihren Fingerabdrücken behalten. Eddie steckte sie in das Kuvert zu den Fäden und dem Stückchen Schorf. Er sah, daß der Schorf zusammengeschnurrt war; er war so groß wie ein Viertel Maikäfer, ähnlich rostrot gefärbt und schwarz getüpfelt.
Gegen Viertel nach zwei an diesem Freitagnachmittag bog Eddie in die Parsonage Lane in Sagaponack ein. Als er noch ein Stück vom Haus der Coles entfernt war, stellte er erleichtert fest, daß weder der Umzugswagen noch Marions Mercedes irgendwo zu sehen war. Dafür stand ein unbekanntes Auto in der Einfahrt, ein dunkelgrüner Saab. Während Eddie das Tempo auf Schrittgeschwindigkeit verringerte, verabschiedete sich Ted, der hartnäckige Schürzenjäger, gerade von den drei Frauen im Saab.
Er hatte seinen zukünftigen Modellen, Mrs. Mountsier und ihrer Tochter Glorie, seine Werkstatt gezeigt. Effie hatte sich geweigert, überhaupt auszusteigen. Die arme Effie war ihrer Zeit voraus: Sie war eine integre, scharfsichtige und intelligente junge Frau, gefangen in einem Körper, den die meisten Männer entweder ignorierten oder verschmähten; von den drei Frauen, die an diesem Freitagnachmittag in dem dunkelgrünen Saab saßen, war Effie als einzige klug genug, zu erkennen, daß man Ted Cole so wenig vertrauen konnte wie einem löchrigen Kondom.
Eine Sekunde lang dachte Eddie, dem fast das Herz stehenblieb, die Frau hinter dem Steuer des Saab sei Marion, doch als er in die Einfahrt bog, sah er, daß Mrs. Mountsiers Ähnlichkeit mit Marion doch nicht so groß war, wie er geglaubt hatte. Eine Sekunde lang hatte er gehofft, Marion hätte es sich anders überlegt. Sie läßt Ruth doch nicht im Stich, dachte er – und mich auch nicht. Aber Mrs. Mountsier war nicht Marion; und ihre Tochter hatte auch keine Ähnlichkeit mit Alice, dem hübschen Kindermädchen, das er nicht ausstehen konnte. (In seiner Aufregung hatte Eddie Glorie für Alice gehalten.) Nun wurde ihm klar, daß es einfach nur irgendwelche Frauen waren, die Ted nach Hause gebracht hatten. Und er fragte sich, für welche von den dreien sich Ted interessierte – bestimmt nicht für die auf dem Rücksitz.
Als der dunkelgrüne Saab aus der Einfahrt bog, konnte Eddie an Teds unschuldiger, wenn auch etwas erstaunter Miene sofort erkennen, daß er von Marions Verschwinden noch nichts wußte.
»Daddy! Daddy!« rief Ruth. »Willst du meine Fäden sehen? Es sind vier Stück. Und einen Schorf habe ich auch. Zeig Daddy den Schorf!« sagte sie zu Eddie, der Ted den Briefumschlag gab.
»Das sind meine Fingerabdrücke«, erklärte sie ihrem Vater, der die Papierserviette mit den Ketchup-Flecken betrachtete.
»Paß auf, daß der Wind den Schorf nicht wegweht«, legte Eddie Ted nahe. Das Stückchen Schorf war so klein, daß Ted es sich ansah, ohne es aus dem Kuvert zu nehmen.
»Wirklich hübsch, Ruthie«, sagte er. »Dann … dann wart ihr also beim Arzt, um die Fäden rausnehmen zu lassen?« fragte er Eddie.
»Und wir waren am Strand, und wir waren Mittagessen«, erklärte Ruth ihrem Vater. »Ich habe ein gebacktes Käsesandwich und Pommes mit Ketchup gegessen. Und Eddie hat mir meine Fingerabdrücke gezeigt.
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