Witwe für ein Jahr (German Edition)
nachdachte. Glorie war bestimmt kein Problem. Und dann, was für ein herrlich langer Herbst und Winter könnte das werden! (Ted stellte sich vor, daß die Verführung der trauernden Mrs. Mountsier ungleich langsamer vor sich gehen würde; womöglich dauerte sie Monate oder sogar ein Jahr.)
Es erforderte eine Menge Fingerspitzengefühl, Mutter und Tochter zu gestatten, ihn nach Sagaponack zu fahren. Mrs. Mountsier erbot sich, merkte dann aber, daß sie damit die Gefühle ihrer Tochter verletzt hatte; Glorie wünschte sich von ganzem Herzen, den berühmten Autor und Illustrator nach Hause fahren zu dürfen.
»Ach, bitte, Glorie, dann fahr du«, sagte Mrs. Mountsier. »Es war mir nicht klar, wieviel es dir bedeutet.«
Wenn sie streiten, wird es nicht klappen, dachte Ted. »Wenn ich einen egoistischen Vorschlag machen dürfte«, sagte er und lächelte Effie charmant an, »würde ich mich geehrt fühlen, wenn Sie mich alle drei nach Hause fahren.« Obwohl er bei Effie mit seinem Charme nichts ausrichtete, waren Mutter und Tochter auf der Stelle versöhnt – vorerst.
Auch als es um die Frage ging, wer fahren sollte, Mrs. Mountsier oder Glorie, spielte Ted den Friedensstifter. »Ich persönlich finde ja«, sagte er lächelnd zu Glorie, »daß junge Leute in Ihrem Alter besser fahren als ihre Eltern. Andererseits« – jetzt galt sein Lächeln Mrs. Mountsier – »sind Leute wie wir unerträgliche Beifahrer, weil wir immer alles besser wissen.« Nun wandte er sich wieder an Glorie. »Lassen Sie Ihre Mutter fahren«, sagte er. »Es ist die einzige Möglichkeit, sie daran zu hindern, Ihnen gute Ratschläge zu erteilen.«
Obwohl sich Ted nichts daraus machte, wenn Effie die Augen verdrehte, sah er es diesmal voraus; er wandte sich dem häßlichen Entlein zu und verdrehte selbst die Augen, nur um ihr zu zeigen, daß er Bescheid wußte.
Für den Betrachter gaben sie eine einigermaßen normale Familie ab. Mrs. Mountsier saß am Steuer, der wegen Trunkenheit am Steuer verurteilte berühmte Autor neben ihr auf dem Beifahrersitz. Und hinten die Mädchen. Die, die das Pech hatte, häßlich zu sein, war verständlicherweise übel gelaunt und in sich gekehrt; kein Wunder, denn ihre »Schwester« war vergleichsweise hübsch. Effie saß hinter Ted und starrte auf seinen Hinterkopf. Glorie beugte sich vor, so daß sie den Raum zwischen den beiden Vordersitzen von Mrs. Mountsiers dunkelgrünem Saab ausfüllte. Ted, der sich auf seinem Sitz so gedreht hatte, daß er Mrs. Mountsiers hinreißendes Profil sehen konnte, hatte auf diese Weise auch ihre lebhafte, wenn auch nicht unbedingt schöne Tochter im Visier.
Mrs. Mountsier war eine gute Fahrerin, die den Blick nicht ein einziges Mal von der Straße wandte. Ihre Tochter konnte den Blick nicht von Ted wenden. Dafür, daß der Tag so schlecht begonnen hatte, war es erstaunlich, welche Perspektiven sich aufgetan hatten! Ted sah auf seine Uhr und stellte überrascht fest, daß es früher Nachmittag war. Er würde vor zwei zu Hause sein und reichlich Zeit haben, um Mutter und Tochter seine Werkstatt zu zeigen, solange das Licht noch gut war. Man darf einen Tag nicht danach beurteilen, wie er angefangen hat – zu dieser Erkenntnis gelangte Ted, als Mrs. Mountsier am Agawam-See vorbeifuhr und aus der Dune Road in die Gin Lane einbog. Ted war so sehr mit dem optischen Vergleich zwischen Mutter und Tochter beschäftigt gewesen, daß er nicht auf den Weg geachtet hatte.
»Ach, Sie fahren diese Strecke«, flüsterte er.
»Warum flüstern Sie?« wollte Effie wissen.
Auf der Gin Lane sah sich Mrs. Mountsier gezwungen, das Tempo auf Schrittgeschwindigkeit zu drosseln. Die Straße war mit Papierfetzen übersät; sie hingen überall an den Hecken. Als Mrs. Mountsiers Wagen vorüberfuhr, wirbelte er ringsum Papierschnipsel auf. Ein Fetzchen blieb an der Windschutzscheibe hängen. Mrs. Mountsier erwog anzuhalten.
»Halten Sie nicht an!« sagte Ted. »Schalten Sie einfach den Scheibenwischer ein!«
»Von wegen besserwisserische Beifahrer, Sie haben es nötig!« bemerkte Effie.
Ted war erleichtert, daß die Scheibenwischer ihren Zweck erfüllten. Das anstößige Stück Papier flog weiter. (Ted war überzeugt, daß es sich bei dem, was er kurz gesehen hatte, um Mrs. Vaughns Achselhöhle handelte; sie stammte aus einer äußerst kompromittierenden Serie von Zeichnungen, auf denen sein Modell mit hinter dem Kopf verschränkten Händen auf dem Rücken lag.)
»Was ist das nur für ein Zeug?« fragte
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