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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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(Jahre später, wenn Ruth nach den Ferien nach Exeter zurückkehrte, betrachtete sie diese kleinen Fähren immer als erste Etappe des Abschieds von zu Hause.)
    In Greenport sagte Eduardo zu Eddie: »Mit dem, was ich für mein Haus in Sag Harbor bekommen würde, könnte ich mir hier eine richtig hübsche Villa kaufen. Aber in Greenport verdient man als Gärtner zu wenig, um davon zu leben.«
    »Das kann ich mir denken«, brachte Eddie mühsam hervor; seine Zunge fühlte sich taub an, und seine Stimme hörte sich für ihn fremd an.
    Als sie Orient Point erreichten, war noch keine Fähre in Sicht; das dunkelblaue Wasser war mit Schaumkronen gesprenkelt. Da es Samstag war, warteten viele Tagesausflügler auf die Fähre; die meisten von ihnen fuhren ohne Auto zum Einkaufen nach New London. Es waren völlig andere Passagiere als an jenem Tag im Juni, als Eddie hier angekommen war und Marion ihn abgeholt hatte. (»Hallo, Eddie«, hatte sie gesagt. »Ich dachte schon, du siehst mich gar nicht.« Und ob er sie gesehen hatte! Als hätte er sie übersehen können!)
    »Also, bis dann«, sagte Eddie zu Eduardo. »Und danke fürs Herbringen.«
    »Wenn ich fragen dürfte«, sagte Eduardo ernsthaft, »wie ist es denn so, für Mr. Cole zu arbeiten?«
    Abschied von Long Island

    Es war so kalt und windig auf dem Oberdeck der Cross Sound Ferry, daß Eddie sich in den Windschatten des Brückenhauses flüchtete; dort übte er, vor dem Wind geschützt, in einem seiner Notizbücher Ted Coles Unterschrift. Die Blockbuchstaben der Initialen T und C waren einfach; hier ähnelte Teds Handschrift einem Schriftbild ohne Serifen. Aber die Kleinbuchstaben stellten eine echte Herausforderung dar; bei Ted waren sie zierlich und absolut gleichmäßig schräg, das handgeschriebene Pendant zu einer Baskerville kursiv. Nach rund zwanzig Versuchen konnte Eddie in Teds nachgemachter Unterschrift noch immer Spuren seiner eigenen, eher spontanen Handschrift erkennen. Er befürchtete, die Fälschung könnte bei seinen Eltern, die seine Handschrift sehr gut kannten, Verdacht erregen.
    Er übte so konzentriert, daß er den Muschellasterfahrer, denselben, der an jenem schicksalhaften Junitag mit ihm zusammen den Sund überquert hatte, gar nicht bemerkte. Der Mann, der außer am Sonntag jeden Tag mit der Fähre von Orient Point nach New London (und zurück) fuhr, erkannte Eddie wieder und setzte sich neben ihn auf die Bank. Er konnte nicht umhin, zu bemerken, daß Eddie offensichtlich versuchte, eine Unterschrift möglichst perfekt nachzuahmen; da ihm wieder einfiel, daß der Junge irgendeinen merkwürdigen Job angenommen hatte – sie hatten sich kurz darüber unterhalten, was genau ein »Schriftstellerassistent« wohl zu tun hätte –, nahm er an, daß das wiederholte Abschreiben ein und desselben kurzen Namens eben auch zu seinem eigenartigen Job gehörte.
    »Wie geht’s denn so, mein Junge?« fragte der Lasterfahrer. »Sieht aus, als würdest du hart arbeiten.«
    Als zukünftiger, wenn auch nie übermäßig erfolgreicher Romanautor hatte Eddie O’Hare ein sicheres Gespür für einen guten Schluß; insofern freute er sich, den Muschellasterfahrer wiederzusehen. Er erklärte ihm, was er da machte: Nachdem er »vergessen« habe, Ted Cole um ein Autogramm zu bitten, wolle er seine Eltern nicht enttäuschen.
    »Laß mich mal versuchen«, sagte der Fahrer.
    So kam es, daß der Fahrer des Muschellasters im Windschatten des Brückenhauses auf dem windigen Oberdeck eine einwandfreie Imitation der Unterschrift des Bestsellerautors lieferte. Nach nur einem halben Dutzend Versuchen in Eddies Notizbuch war der Fahrer bereit für den Ernstfall; Eddie erlaubte dem aufgeregten Mann, das O’Haresche Familienexemplar der Maus, die in der Wand krabbelt zu signieren. Im wohltuenden Schutz des Brückenhauses bewunderten beide das Ergebnis. Voller Dankbarkeit bot Eddie dem Fahrer Ted Coles Füller an.
    »Mach keine Witze«, sagte der Mann.
    »Nehmen Sie ihn, er gehört Ihnen«, sagte Eddie. »Ich will ihn wirklich nicht.« Er wollte ihn tatsächlich nicht, und so klipste der Muschellasterfahrer den Füller fröhlich an die Innentasche seiner schmutzigen Windjacke. Er roch nach Hot dogs und Bier und natürlich – vor allem hier im Windschatten – nach Muscheln. Er bot Eddie ein Bier an, das dieser jedoch ablehnte, und dann wollte er wissen, ob »der Schriftstellerassistent« im folgenden Sommer wieder nach Long Island kommen würde.
    »Wohl kaum«, meinte Eddie. Aber

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