Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
ganz realen Gegner, der aus der Sphäre des großen Kapitals kommt, und dem man fast 13 Jahre russisches Gefängnis aufgebrummt hat. Er heißt Michail Chodorkowski. Anders als in vielen anderen Fällen mythischer »Feindseligkeit« liegt die Verantwortung für Chodorkowskis Schicksal voll und ganz bei Putin, unabhängig davon, ob der Präsident sie anerkennt oder nicht. Diese Verantwortung ist nicht nur eine moralische, sondern auch eine historische.
Kapitel 12: Chodorkowski – mein liebster Feind
Wie wir bereits gesehen haben, war Putin nie sonderlich hart gegen seine realen und erst recht nicht gegen die imaginären Feinde. Nehmen wir Michail Kassjanow, russischer Ministerpräsident von 2000 bis 2004. Im Jahr 2006 trat er wieder mit einigen scharfen, putinkritischen Äußerungen in Erscheinung und wurde einer der Gründer der radikaloppositionellen, gesellschaftlichen Bewegung »Anderes Russland«. Deren Hauptlosung lautet »Russland ohne Putin«. Im Jahr 2012 unterstütze er offen den amerikanischen Magnitsky Act, der bei Putin einen Empörungssturm auslöste. Was war los mit Kassjanow? Er verlor seine Datscha von 11 Hektar in der Nähe von Moskau, die von Putin 2004 privatisiert wurde. Das war alles. Andere Annehmlichkeiten hingegen blieben unberührt, auch seine Freiheit und Unabhängigkeit. Oder nehmen wir Boris Nemzow, den ehemaligen Gouverneur der Provinz Nischny Nowgorod (1991 bis 1997) und ersten Vize-Ministerpräsident der föderalen Regierung Russlands (1997 bis 1998), Ex-Favorit und Beinahe-Nachfolger von Boris Jelzin. Schon viele Jahre betitelt er Putin als Diktator und Tyrann. 2008 bis 2009 folgten kritische Vorträge unter der Bezeichnung »Putin. Ergebnisse«. Folgen hatte dies keine für ihn. Vielmehr lebte er wie die Made im Speck und ist außerdem mit durchaus systemtreuen Oligarchen wie Michail Fridman oder Michail Prochorow befreundet. Chodorkowski ist die Ausnahme.
2003 wurde er verhaftet. 2005 wurde er zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, 2011 zu weiteren dreizehn Jahren (unter Anrechnung der bereits verbüßten). Sein Unternehmen JUKOS meldete in juristisch zweifelhafter Weise Ende 2006 Bankrott an, und seine Aktiva gingen faktisch kostenlos an Rosneft. Chodorkowski soll angeblich im August 2014 entlassen werden, aber sicher ist das nicht.
Chodorkowski muss unter unmenschlichen Bedingungen ausharren, die ein heutiger Europäer nicht überleben würde. 2003 bis 2005 und 2009 bis 2011 saß Chodorkowski in Moskau im Untersuchungsgefängnis Matrosskaja tischina, 2005 bis 2009 in Krasnokamensk, einer mikroskopisch kleinen und halb zerstörten Stadt 9 000 Kilometer von Moskau entfernt, fast an der Grenze zu China. Mittlerweile sitzt er in Karelien, unweit der finnischen Grenze, in der Siedlung Segescha. Zusammen mit MBCh hatte außerdem ein Dutzend Manager von JUKOS zu leiden, vor allem natürlich Platon Lebedew, der wichtigste Finanzexperte der einst größten Erdölfirma Russlands. Lebedew wurde ebenfalls zu dreizehn Jahren Gefängnis verurteilt. Den gesamten unerträglichen Weg durch die Gefängnisse ist er zusammen mit Chodorkowski gegangen.
Im Jahr 2013 hatten wir zwei Jubiläen: der fünfzigste Geburtstag von Michail Chodorkowski (im Juni) und der zehnte Jahrestag seiner Verhaftung (im Oktober) sowie des Falls JUKOS überhaupt. Deswegen ist es heute sinnvoll, auf diese zehn Jahre zurückzublicken und genauer zu fragen: Was war da eigentlich los? Wie kam es zum Fall JUKOS, und welchen Gesetzmäßigkeiten unterlag (und unterliegt) er?
Einige Beobachter der Affäre sind durchaus geneigt, den Autor dieser Zeilen zu den Initiatoren der Hetze gegen Chodorkowski & Co. zu zählen, wobei sie sich auf einen Bericht des Rats für Nationale Strategien mit dem Titel »Der Staat und die Oligarchie« berufen, der im Mai 2003 veröffentlicht wurde. Der Rat für Nationale Strategien ist eine gesellschaftliche Organisation, die vom Autor dieser Zeilen zusammen mit neunzehn weiteren russischen Politologen 2002 gegründet wurde. Der Bericht »Der Staat und die Oligarchie« beschreibt das System der Beziehungen zwischen der föderalen Macht und dem Großkapital. Unter anderem ist darin die Rede von den Plänen zu einer Transformation Russlands in eine parlamentarische Republik und einer Verminderung der Präsidialmacht, zu der MBCh oder zumindest seine nähere Umgebung im Verhältnis standen. (Davon bin ich auch heute, nach zehn Jahren, überzeugt.)
Platon Lebedew wurde am 2. Juli, Michail Chodorkowski
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