Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
was Chodorkowski betrifft. Warum die Business-Community ihn verriet. Es ist ja so, dass ein erheblicher Teil des Establishments, insbesondere des intellektuellen Establishments, … erst nach Chodorkowskis Inhaftierung davon erfuhr, dass er Demokrat ist. Davor hatte man ihn (mit verschiedenen Abstufungen von Emotionalität) für einen erfolgreichen Geschäftsmann oder für einen geschickten Schwindler gehalten. Die Formulierungen waren unterschiedlich, aber im Prinzip meinte jeder ein und dasselbe. Deswegen war der Business-Community wohl bekannt, was die Menatep Group darstellte, die sich dann in Rosprom verwandelte und später in JUKOS. Wenn wir, zum Beispiel, mich nehmen, so habe ich zu genau den Genossen gehört, die Chodorkowski mit ihrer Anteilnahme unterstützt haben. Mehr noch, die Zeitschrift Newsweek betrieb eine Art ›Planspiel‹ – ein Prozess gegen Chodorkowski, in dem ich die Rolle des Verteidigers spielte und Michail Jurjew die Rolle des Anklägers. […] Ich kann sagen, dass Chodorkowski immer gegen unsere Mannschaft gekämpft hat. Ein bekanntes Beispiel für diesen Widerstand war das Jahr 1997. Nachdem sie Swjasinwest nicht bekommen hatten, wurde gegen uns eine Hetzjagd ausgerufen, und Chodorkowski ergriff für Beresowski und Gussinski Partei. Und auch später nahm er immer die Position derjenigen ein, die gegen unsere Mannschaft waren. Erst bei den Wahlen 2003 fand er eine Möglichkeit, mit uns zu kooperieren und uns zu unterstützen.
Deswegen hält niemand innerhalb der Business-Community, die zu Chodorkowski als Geschäftsmann ein sehr, sehr schlechtes Verhältnis hat, ihn für einen Menschen, der einer Unterstützung würdig wäre. Chodorkowski riskierte immer zwei Thesen. Die erste These: ›Wenn wir einen Staat hätten, säße ich schon längst hinter Gittern.‹ Und die zweite: ›Was mir gehört, das gehört mir, und was dir gehört, darüber ist noch zu reden.‹ Wir als Business-Community wollen jetzt nicht unsere schmutzige Wäsche vor anderen Leuten waschen – das sind unsere internen Querelen –, und vor allem wollen wir nicht über jemanden herfallen, der im Gefängnis sitzt. Die Russische Union der Industriellen und Unternehmer hat ihn unterstützt, die Union der rechten Kräfte ebenfalls. Dazu noch Tschubais, Nemzow, Koch und Gaidar persönlich. Er aber schreibt in seinen Briefen, wir hätten die liberale Idee zugrunde gerichtet usw. Wie uns M. B. Chodorkowski lehrt, sollte man sich rational verhalten. Jegliches Gejaule ist sinnlos. Was wäre denn geschehen, wenn die Business-Community ihn unterstützt hätte, woran ich kaum glauben kann? Sowohl aus den von mir aufgezählten Gründen, die meines Erachtens ehrenwert sind, als auch deswegen, weil es sinnlos ist, sich mit der Staatsmacht wegen Chodorkowski zu zerstreiten, der dieser Business-Community nicht nähersteht als irgendjemand sonst.«
Heute meint man üblicherweise, Dmitri Medwedew hätte zur Zeit seiner Präsidentschaft (2008 bis 2011) Chodorkowski auf freien Fuß setzen können, aber der verfluchte und allmächtige Wladimir Putin habe das nicht zugelassen. Ich denke, alles ist viel einfacher und zugleich komplizierter.
Medwedew hätte MBCh zusammen mit Platon Lebedew vielleicht freigelassen, aber es hätte so aussehen müssen, als ob er sich in nichts eingemischt und keine individuellen Entscheidungen getroffen hätte. Eine Entlassung auf Bewährung oder eine Entscheidung des Höchsten Gerichts über eine Strafverkürzung im zweiten Fall um einige Jahre wären hier denkbar gewesen. Eine direkte Demonstration der politischen Macht des Präsidenten in dieser konkreten Frage nicht.
Man sollte sich jedoch nicht ausschließlich auf Putin versteifen, auch wenn sein Einfluss auf das Schicksal des ehemaligen Oligarchen tatsächlich sehr hoch war. Innerhalb der Elite gibt es einige Leute, die kein besonders hohes Interesse daran haben, Chodorkowski auf freiem Fuß wiederzutreffen. Zu ihnen gehören nach meiner Ansicht die einflussreichsten Geschäftsleute des heutigen Russland und die Stützen der »Familie« von Boris Jelzin: Roman Abramowitsch und Oleg Deripaska. Abramowitsch hat bislang keinen Finger gerührt, um Chodorkowskis Freilassung zu bewirken. Er wollte die strategisch wichtige Freundschaft mit Putin nicht gegen etwas so Unsicheres wie die Freiheit für MBCh tauschen. Wozu auch?
Überdies gibt es da eine sensible finanzielle Frage. Abramowitsch standen mehr als vier Jahre (vom Frühjahr 2003 bis zum Sommer
Weitere Kostenlose Bücher